Vor ein paar Wochen ist die Geschichte schon durch die irische Presse gegangen, jetzt hat der Südkurier sie aufgegriffen: die schulischen Leistungen der irischen Jugend leiden unter dem Einfluss moderner Kommunikationstechniken. Zumindest behauptet das ein Bericht, den das irische Bildungsministerium in Auftrag gegeben hat:
„Das Schreiben von SMS, bei dem auf Rechtschreibung und Satzzeichen wenig Wert gelegt wird, scheint eine Gefahr für die traditionellen Sprachkonventionen zu sein“, heißt es in dem Bericht.
Da haben sich die Verfasser des Berichts wohl eher von Vorurteilen gegen eine vermeintlich kommunikationsgestörte Jugend leiten lassen als von einem echten Verständnis über den Zusammenhang von Medium und Botschaft. Schließlich haben die schriftsprachlichen Leistungen früherer Generationen nicht unter der Erfindung des Morsealphabets gelitten (··· ·· · / ···· ·¬ ¬··· · ¬· / ¬· ·· · / ··· ¬¬¬ / ¬¬· · ··· ¬·¬· ···· ·¬· ·· · ¬··· · ¬·) und auch die Erfindung des Telegramms hat keine bleibenden Spuren hinterlassen (BESINNUNGSAUFSATZ NICHT IN GEFAHR STOP).
Die British Library ist neuen Kommunikationsformen gegenüber offensichtlich aufgeschlossener. Im letzten Jahr rief man die Bevölkerung dazu auf, den 17. Oktober in einem eigens geschaffenen Blog zu dokumentieren. Nun bittet die British Library die Briten, je eine Email aus ihrem Postfach an die Bibliothek weiterzuleiten. Die sollen dann archiviert werden und zukünftigen Generationen von Historikern die Möglichkeit geben, das Leben im frühen 21. Jahrhundert besser zu verstehen:
The British Library plays home to such works as the Magna Carta, the letters of Jane Austen, and William Shakespeare’s first work — a collection that will now be enriched by intra-office e‑spats and mass advertisements for Viagra.
Die British Library beheimatet Werke wie die Magna Carta, die Briefe von Jane Austen und William Shakespeares erstes Stück — eine Sammlung, die jetzt durch elektronischen Büroknatsch und Massenwerbung für Viagra bereichert wird.
Da ist es doch nur noch ein kleiner Schritt zu einem Dokumentationsprojekt für SMS-Botschaften. Und dann könnte die Nachwelt entscheiden, was romantischer ist: „ILIDIUVEMIDI“ oder „O Romeo! Warum denn Romeo? / Verleugne deinen Vater, deinen Namen! / Willst du das nicht, schwör dich zu meinem Liebsten, / Und ich bin länger keine Capulet!“
[Nachtrag: Bei Freunden des Morsealphabets entschuldige ich mich für die ungewöhnliche Darstellung von Punkten und Strichen. Die üblichen . und — werden von WordPress sehr eigenwillig interpretiert, wenn zwei davon nebeneinander stehen.]
Die Einlassung zum Morsealphabet kann ich nicht nachvollziehen. Natürlich hat das Morsealphabet die Sprachkompetenz der damaligen Jugend nicht untergraben, weil diese beiden Welten nicht (bzw. kaum) miteinander in Berührung kamen. Heute ist das anders: Praktisch jeder junge Mensch hierzulande hat ein Mobiltelephon und benutzt es auch zum SMSen. Der Einfluß ist deutlich größer. Logischerweise.
Ich muß mich buntklicker anschließen. Die SMS mit dem Morsecode und dem Telegramm zu vergleichen ist ein wenig zu einfach. Wie selten hat denn der Durchschnittsbürger, selbst zu den Hochzeiten des Morsens oder des Telegrafierens, selbst diese Techniken verwendet? Die SMS ist hingegen in der heutigen Welt allgegenwärtig und hat eine viel höhere gesellschaftliche Durchdringung als die anderen beiden Kommunikationstechniken. Und daher ist es wahrscheinlich, daß auch ihr Einfluß auf die Sprache deutlich größer ist.
Dazu fällt mir noch der Kommunikationskanal Chat/IM ein, der ja ebenfalls durch Kürze und ungenaue Rechtschreibung geprägt ist, wenn auch aus anderen Gründen als die SMS (Zeit- statt Platzmangel). Und auch hier ist der Einfluß auf die Alltagssprache wohl größer als beim Telegramm. Ich kenne z.B. jemanden, der tatsächlich “lol” sagt, auch in ganz normalen Unterhaltungen.
Sollte das mit dem Morsealphabet wirklich so ernst gemeint gewesen sein, wie Buntklicker und Alex anscheinend annehmen? Anders als die „SMS-Sprache“ ist das ja nur eine alternative Schreibweise für die Buchstaben des Alphabets. Beim Telegramm wäre ein Stileinfluss wohl eher zu erwarten, und da hat die Aussage mit Medium und Botschaft doch trotz der unterschiedlichen Verbreitung von Telegrammstil und SMS-Sprache ihre Berechtigung: die „heutige Jugend“ hat ja vermutlich dieselbe Fähigkeit, zwischen Schulaufsatz und informeller Kommunikation zu unterscheiden, wie jede Generation vor ihnen. Mein elfjähriger Sohn und seine Freunde kommen jedenfalls nicht auf die Idee, ihre Schulaufsätze mit Kürzeln wie CU oder J4F zu schmücken und sie verwenden auch keine SMS-Abkürzungen, wenn sie sich unterhalten…
IMHO — Ich glaube nicht, dass Kommunikationstechnologien überhaupt irgendeinen nennenswerten oder gar nachhaltig negativen Einfluss auf die Sprache haben können — dazu schreiten diese einfach viel zu rasch voran. Buntklicker und Alex haben ja schon ganz richtig bemerkt, dass der Morsecode und Telegramme das nicht getan haben und weder Stenografie noch Palm’s® Graffiti® haben bisher dazu geführt, dass die Menschheit das Schreiben verlernt hat. Ich denke, auch die „Short Message” (SMS) wird das nicht schaffen; immerhin hilft T9 einem mittlerweile dabei, Kurzmitteilungen zeitsparend auch in ganzen Sätzen mit voll ausgeschriebenen Wörtern zu verfassen. Und wer weiß, ob sich in 10 Jahren überhaupt noch jemand an das lästige Zusammentippen von meist überflüssigen Texten auf einem dutzend unkomfortabel kleiner Tasten erinnern kann. Was den negativen Einfluss moderner Kommunikationstechniken auf unsere Jugend betrifft, so kann ich mir gut vorstellen, dass es weniger das Verfassen von Kurznachrichten als vielmehr das ständige Rumfummeln mit dem Mobiltelefon an sich ist, was die Adoleszenten vom Lernen abhält. Ich denke, ein einfaches Handyverbot im Unterricht könnte hier schon Wunder wirken.
Damit eine Kommunikationstechnologie einen Einfluss auf die Sprache im Allgemeinen haben kann, muss sie natürlich erstens, wie NvonX beobachtet, lange genug existieren und zweitens, wie Buntklicker und Alex anmerken, weit verbreitet sein. Die einzige Technologie, die meines Wissens diese Bedingungen erfüllt, ist das Schreiben an sich. Weder Morsecode (der natürlich eine reductio ad absurdum sein sollte) noch Telegramm, weder SMS noch Chat können die Sprache verändern (das Beispiel von *lol* in der gesprochenen Sprache ist hier zwar interessant aber kein Gegenargument: immer wieder werden vereinzelte Abkürzungen aus der Schriftsprache in die gesprochene Sprache übernommen ohne dass sich dadurch tiefgreifend etwas an der Sprache ändern würde).
Allerdings beeinflusst jede Kommunikationstechnologie die Verwendung der Sprache in dem Sinne, dass eine Art „Dialekt“ entsteht (oder künstlich geschaffen wird), der dieser Technologie angepasst ist. Das kann das Weglassen von Funktionswörtern sein, die bei Telegrammen den Preis unnötig in die Höhe treiben würden, oder die Verwendung von bestimmten Abkürzungen, die bei SMS und Chat die Zeit reduzieren, die zum Tippen benötigt wird. Der relativ laxe Umgang mit Zeichensetzung und Rechtschreibung, der sich bei SMS und Chats beobachten lässt, dürfte ebenfalls damit zusammenhängen und könnte außerdem etwas mit einer Konzentration auf Inhalte statt auf die äußere Form zu tun haben.
Hinzu kommt außerdem sicher, dass die jungen Menschen, um die es in dem Bericht ging, die Regeln der Schriftsprache nur unzureichend beherrschen. Anders als die Strukturen und das Vokabular unserer Sprache erlernen wir Interpunktion, Orthografie und klare Textstrukturen nicht spielend und unbewusst. Stattdessen muss man sie uns mühsam beibringen. Das ist eine der Hauptaufgaben der Schulen. Der Bericht tut nun (wenn man den Presseberichten glauben darf) so, als würden die Schulen den Schülern beste schriftsprachliche Kompetenzen vermitteln, die die Schüler sich dann mit zu viel Simsen wieder versauen. Meine Vermutung ist aber eher, dass die Schulen die Schriftsprache gar nicht erst ausreichend vermitteln (können) und dass die SMS hier als Sündenbock herhalten müssen damit das Bildungsministerium nicht zugeben muss, dass die Schulen hoffnungslos unterfinanziert und personell unterbesetzt sind.