Apostrophenschutz

Von Anatol Stefanowitsch

Hin­ter­strich, Nach­strich, Ober­strich, Ober­häk­lein, Hochkom­ma, Aus­las­sungsze­ichen — das sind nur einige der vie­len Namen, mit denen er in sein­er etwa vier­hun­dertjähri­gen Lebens­geschichte gerufen wurde: der Apos­troph. Und wie kaum ein anderes Inter­punk­tion­sze­ichen erhitzt er die Gemüter, wenn er außer­halb der Duden-Regeln ver­wen­det wird. Dabei lassen sich fünf grobe Kat­e­gorien normab­we­ichen­der Ver­wen­dun­gen unterscheiden:

  • Der Gen­i­tiv-Apos­troph (Uschi’s Hun­de­sa­lon; Künzel’s Brillen und Con­tactlin­sen; wie zu Oma’s Zeit­en; im Süden Namibia’s)
  • Der Plur­al-Apos­troph (Büro’s frei; Hit’s und Trend’s; für unsere Puppenmama’s); dieser Fall find­et sich manch­mal auch bei Plu­ral­bil­dun­gen mit -n (Par­ty Idee’n; Ham­burgs schön­ste Ecke’n; Musik-CD’n)
  • Der „falsche“ Aus­las­sungsapos­troph (Bei’m Wolf­gang; Geschicht­en für’s Herz; Tritt gegen’s Schienen­bein)
  • Der Verb­form-Apos­troph (Du schein’st es ja kapiert zu haben; um ihre Wahl zu speicher’n; schau’t ein­fach mal nach; Pack’ das Auto ins Gepäck; Spiel’ mit mir)
  • Der (schein­bar) beliebige Apos­troph (Alles ist O’K; braungetiger’ter Kater; Hobb’y 24; 4. Abfahrt recht’s; Super eBay’er; Düs­sel­dor­fer Kios’k)

Dutzende von Web­seit­en wid­men sich auss­chließlich solchen Ver­wen­dun­gen, als „Dep­pe­na­pos­troph“, „Kapos­troph“ oder „(ansteck­ende) Apos­trophi­tis“ beze­ich­net. Drei der bekan­nteren sind das „Katas­tro­pheum“ (mit „Grusel­ga­lerie“, aus der auch die hier genan­nten Beispiele stam­men), die „Apos­troph-S-Hass-Seite“ und der „Apo’strophen Alarm!“. Neben der (oft dur­chaus vergnüglich kom­men­tierten) fotografis­chen Doku­men­ta­tion normab­we­ichen­der Apos­tro­phe teilen diese Web­seit­en eine Rei­he von Grundannahmen.

Erstens gehen Sie davon aus, dass diese Ver­wen­dun­gen aus dem Englis­chen ins Deutsche über­nom­men wur­den. Der Apo’strophen Alarm pos­tuliert fol­gende, repräsen­ta­tive Entwicklungsgeschichte:

Der kollek­tive Unfug hat sich in mehreren Schrit­ten vollzogen:

  • Zunächst wurde das Genitiv‑s aus dem Englis­chen über­nom­men: Peter’s
  • Sodann hat man manche Plu­ral­for­men apos­tro­phiert, Vor­re­it­er waren hier „Media Markt“, „Pro­Markt“ und andere Laden­ket­ten mit Schildern wie CD’s, MC’s, Video’s etc.
  • Inzwis­chen wird — anscheinend wahllo’s — der let­zte Buch­stabe durch Apos­troph abge­tren­nt: Samstag’s ab 8 Uhr.

Dabei gehen die Apos­tro­phen­jäger zweit­ens davon aus, dass kos­mopoli­tis­che Begehrlichkeit­en die Moti­va­tion für die Über­nahme darstellen. So ver­mutet das Katastropheum:

Der über­mäßige Mißbrauch des Apos­trophs ist insofern nur eine Aus­prä­gung des Dranges, durch eine über­triebene Anwen­dung englis­ch­er Sprachaspek­te einen Ein­druck von Weltläu­figkeit erzie­len zu wollen — und sei es für Klopa­pi­er in einem Drogeriediscount.

Drit­tens zweifeln die Betreiber nicht nur am orthografis­chen Wis­sen der „Apos­tro­phen­sün­der“, son­dern an deren Intel­li­genz. So ver­lei­ht die Apos­troph-S-Hass-Seite den Titel „Größter anzunehmender Idiot“ an die Urhe­ber nicht-dudenkon­former Apostrophe.

Haben die Apolo­geten der Apos­tro­phe recht mit diesen Annah­men? Ist man ein Depp, wenn einem ein Dep­pe­na­pos­troph her­aus­rutscht? Han­delt es sich um eine Unsitte aus dem Englischen?

Begin­nen wir mit der Geschichte des Apos­troph (die Infor­ma­tio­nen darüber beziehe ich aus einem auch für Laien les­baren Überblick­sar­tikel meines Erfurter Kol­le­gen Wolf Peter Klein). Der Apos­troph kommt ursprünglich aus dem Griechis­chen, wo er ver­wen­det wurde, um wegge­lassene Vokale am Wor­tende zu kennze­ich­nen. In dieser Ver­wen­dung find­et man ihn schon in mit­te­lal­ter­lichen Hand­schriften. Seit dem 17. Jahrhun­dert find­et er sich auch in gedruck­ten Tex­ten zur Kennze­ich­nung von Aus­las­sun­gen am Wor­tende (Blum’ statt Blume) und bald auch in der Wort­mitte (heil’ge für heilige). Im 18. Jahrhun­der kamen auch Aus­las­sun­gen am Wor­tan­fang dazu (’s für es, ’naus für hin­aus). Damit waren im wesentlichen alle Ver­wen­dun­gen vorhan­den, die auch heute noch als nor­mgerecht gelten.

Wann kamen die „Dep­pe­na­pos­tro­phe“ hinzu? Glaubt man den Apos­tro­phen­jägern, so muss dies in jün­ger­er Zeit geschehen sein, da ein inten­siv­er Ein­fluss des Englis­chen sich erst seit dem Ende des zweit­en Weltkriegs beobacht­en lässt, und die vemeintlichen Hauptschuldigen, die Elek­tron­ikmärk­te, gibt es sog­ar erst seit dem Ende der siebziger Jahre. Eine schöne Erk­lärung, mit der man die Apos­trophi­tis als eins von vie­len Symp­tomen des „denglis­chen Patien­ten“ abhak­en könnte.

Lei­der ist diese Erk­lärung falsch.

Der Gen­i­tiv-Apos­troph find­et sich bere­its seit Mitte des 17. Jahrhun­derts, erst bei Eigen­na­men und bald auch bei Ort­sna­men und anderen Wörtern. Der Plur­al-Apos­troph find­et sich seit dem Ende des 18. Jahrhun­derts. Zunächst störte sich auch weit­er nie­mand an diesen Verwendungen.

In Friedrich Niet­zsches Briefen und Noti­zen beispiel­sweise find­en sich hun­derte von Genitiv-Apostrophen:

Vielle­icht sieht sich unser Gebahren doch ein­mal wie Fortschritt an; wenn aber

nicht, so mag Friedrich’s des Grossen Wort auch zu uns gesagt sein und zwar zum Troste … (Men­schlich­es, Allzu­men­schlich­es I/Nachgelassene Fragmente).

Ich gehe, seit eini­gen Monat­en schon, jeden Abend von 1/2 10–11 in raschem Schritt durch Theile Venedig’s (Brief von Hein­rich Köselitz an Niet­zsche, 1882)

Aufs Kind die Hände prüfend leg­en Und schauen ob es Vater’s Art — Wer weiss? (Men­schlich­es, Allzu­men­schlich­es I/Nachgelassene Fragmente)

Auch der Plur­al-Apos­troph find­et sich bei gebilde­ten Zeitgenossen Nietzsches:

Hätte ich über­all in den­jeni­gen Fällen Comma’s set­zen wollen, wo Sie sel­bige dann und wann ein­mal geset­zt… (August Wil­helm Schlegel, Brief an Schleier­ma­ch­er, 1804)

Dieser Abschnitt enthält eine sehr beacht­enswerte Kri­tik der Lehmann’schen Meth­ode, die der Herr Ver­fass­er mit den fol­gen­den Motto’s ein­leit­et … (Grunert, Archiv der Mathematik…)

Erst ab Mitte des 19. Jahrhun­derts trafen diese Ver­wen­dun­gen auf Wider­stand. Vor allem die Entschei­dung Kon­rad Dudens, sie explitz­it als regel­widrig zu behan­deln, tru­gen zu ihrem Nieder­gang bei. Nicht jed­er ließ sich allerd­ings von diesen Ver­boten beein­druck­en. So soll Thomas Mann den Apos­troph nach Lust und Laune weit­er­ver­wen­det haben (Belege kon­nte ich lei­der nicht find­en, wer welche ken­nt, soll sie gerne hier posten oder mir schicken).

Ist man also ein Depp, wenn man den Dep­pe­na­pos­troph ver­wen­det? Ein kleines biss­chen vielle­icht, da man sich ohne große Not der Häme einiger Mit­men­schen aus­set­zt. Anders als beispiel­sweise die prä- und postre­for­ma­torischen Kom­maregeln sind die Regeln für den Apos­troph ja denkbar ein­fach (im Zweifels­fall kann man den Apos­troph ein­fach grund­sät­zlich weglassen — das wird zu sehr weni­gen Fehlern führen). Die Tat­sache, dass diese Regeln so ein­fach sind, dürfte übri­gens ein Grund für die Sam­mel­wut der Apos­tro­phen­jäger sein: der „Dep­pe­na­pos­troph“ ist auch ohne ver­tieftes inter­punk­torisches Wis­sen leicht zu erken­nen. Inter­es­san­ter­weise gibt es ja keine Web­seit­en, die dem Sam­meln von falsch geset­zten Kom­mas gewid­met sind („Dep­penkom­ma“: 118 Google-Tre­f­fer; „Dep­pe­na­pos­troph“: 45.100 Google-Treffer).

Als lesender Men­sch kann ich ja die Vorteile ein­er ein­heitlichen Rechtschrei­bung dur­chaus erken­nen und habe den größten Respekt vor den Armeen von Lek­toren und Lek­torin­nen, die dafür sor­gen, dass sie streng­stens einge­hal­ten wird. Regelkon­forme Inter­punk­tion ist zwar genau­sowenig ein Maßstab für men­schliche Intel­li­genz wie das Wis­sen, mit welchem Mess­er man Fisch schnei­det und aus welchem Glas man Weißwein trinken darf. Aber sie erle­ichtert es, effek­tive Leses­trate­gien zu entwick­eln, Daten­banken nach Infor­ma­tio­nen zu durch­suchen, usw. Wenn nun ein­mal ein rel­a­tiv bre­it­er Kon­sens darüber beste­ht, den Apos­troph nur für bes­timmte Aus­las­sun­gen zu ver­wen­den, kann ich nur empfehlen, sich an diesen Kon­sens zu halten.

Ich kann natür­lich auch über beson­ders mutwillige Miss­griffe bei der Ver­wen­dung lächeln (Mon­sieur Alfon’s, Sie sind dra’n, Na So Wa’s; alle­samt aus der Kat­e­gorie „Völ­lig Wil­len­los“ im Kapos­tro­pheum). Als Sprach­wis­senschaftler finde ich die normab­we­ichen­den Apos­tro­phe aber eher inter­es­sant als lustig. Sie haben näm­lich mit weni­gen Aus­nah­men alle eines gemein­sam: Sie markieren Wort­stamm-Gren­zen und sie tun es häu­fig dort, wo son­st Ver­wirrung bezüglich dieser Gren­ze entste­hen kön­nte. Das haben bere­its im 19. Jahrhun­dert deskrip­tiv ori­en­tierte Gram­matik­er erkan­nt, sie kon­nten sich mit dieser Ein­sicht aber gegen den aufk­om­menden Apos­tro­phen­hass nicht durchsetzen.

Die Urhe­ber der „Dep­pe­na­pos­tro­phe“ haben also offen­sichtlich (unbe­wusstes) Wis­sen über Wort­stämme und darüber, wo Prob­leme bei deren Iden­ti­fika­tion auftreten kön­nte. Dieses Wis­sen haben sie ver­mut­lich nicht in der Schule gel­ernt (denn dann hät­ten sie wohl auch die Apos­tro­phierungsregeln verin­ner­licht). Es han­delt sich also um Wis­sen, das aus der (unbe­wussten) Analyse sprach­lich­er Muster her­vorge­gan­gen ist. Diese unbe­wusste ana­lytis­che Fähigkeit, die alle Men­schen haben, ist eins der faszinieren­sten Phänomene für den Sprach­wis­senschaftler. Denn diese Fähigkeit ist es, die uns von allen anderen Tieren unter­schei­det und die unser Kom­mu­nika­tion­ssys­tem so flex­i­bel und hochkom­plex macht.

Wie so oft kann man Sprache also auch in Bezug auf den „Dep­pe­na­pos­troph“ auf zweier­lei Weise betra­cht­en. Man kann eine Norm set­zen und sich dann über diejeni­gen erheben, die dieser Norm nicht gerecht wer­den. Man fühlt sich dann ein paar Minuten lang seinen Mit­men­schen über­legen, was ja sehr schön sein kann, aber man hat eben nichts über die men­schliche Natur gel­ernt (außer vielle­icht, dass Schaden­freude die schön­ste Freude ist). Oder man kann sich anse­hen, wie die Men­schen sich, fernab jed­er Norm, tat­säch­lich ver­hal­ten und man kann ver­suchen zu ver­ste­hen, warum sie das tun. Dabei ent­deckt man dann oft, dass die schein­baren Dep­pen hochkom­plex­en Regeln fol­gen, nur eben nicht denen, auf die sich die Dep­pen­jäger fix­iert haben.

Lek­türetip

KLEIN, Wolf Peter (2002): Der Apos­troph in der deutschen Gegen­wartssprache. Logographis­che Gebrauch­ser­weiterun­gen auf phono­graphis­ch­er Basis. Zeitschrift für ger­man­is­tis­che Lin­guis­tik 30.2: 169–197. [PDF]

Die oben zitierten gebilde­ten „Dep­pe­na­pos­tro­phe“ stam­men aus fol­gen­den Werken:

GRUNERT, Johann August (1856): Archiv der Math­e­matik und Physik mit beson­der­er Rück­sicht auf die Bedürfnisse der Lehrer an höheren Unter­richt­sanstal­ten. Greif­swald: C. A. Koch.

NIETZSCHE, Friedrich (1967): Werke. Kri­tis­che Gesam­taus­gabe. Hrsg. Gior­gio Col­li und Mazz­i­no Mon­ti­nari. Berlin, Wal­ter de Gruyter.

SCHLEIERMACHER, Friedrich (2005): Kri­tis­che Gesam­taus­gabe. Band 7: Briefwech­sel 1803 — 1804. Hrsg. Andreas Arndt und Wolf­gang Vir­mond. Berlin: Wal­ter de Gruyter.

Dieser Beitrag wurde unter Bremer Sprachblog abgelegt am von .

Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

11 Gedanken zu „Apostrophenschutz

  1. Alex

    Ein sehr schön­er Beitrag. Endlich mal eine andere Sichtweise auf die “wuch­ern­den Apos­tro­phe” der heuti­gen Zeit. 

    Auch sehr inter­es­sant ist, dass der “Dep­pe­na­pos­troph” nicht auf das Deutsche beschränkt ist. Im Englis­chen scheint es ähn­liche Prob­leme zu geben. Beson­ders schön auf den Punkt bringt es der Com­ic Bob, The Angry Flower mit seinem Quick Guide to the Apos­tro­phe und der vielle­icht einzi­gen Lösung des Prob­lems falsch geset­zter Apostrophe.

    Antworten
  2. Thomas Müller

    …und man kann ver­suchen zu ver­ste­hen, warum sie das tun.”

    Dem stimme ich zu, möchte aber darauf hin­weisen, daß das nur unzure­ichend getan ist, indem man fest­stellt, daß “Dep­pe­na­pos­troph­set­zer” unbe­wußt Wort­stam­m­gren­zen markieren.

    Die inter­es­sante Frage ist dann doch: Warum markieren so viele Sprech­er Wort­stam­m­gren­zen? Was ist an Wort­stäm­men so markierenswert? Wieso stören Flexionssuffixe?

    In einem Ger­man­is­tik-Haupt­sem­i­nar, das ich besuchte, schien man sich darauf zu ver­ständi­gen, daß die “Übeltäter” wohl Eigen- bzw. Ort­sna­men gle­ich­sam schützen woll­ten. Ähn­lich­es Ver­hal­ten scheint es auch bzgl. Binde­strichen bei Namen zu geben: Z.B. heißt es offiziell tat­säch­lich “Johannes Guten­berg-Uni­ver­sität Mainz”. Mans cheint anzunehmen, es wäre pietät­los, Guten­berg ein Strich­lein hin­ter den Vor­na­men zu klatschen.

    Betra­chtet man Sprachen wie das Finnis­che, kann man diesen Namen­spro­tek­tion­is­mus gar nicht mehr nachvol­lziehen. Die Her­ren Häkki­nen, Räikkö­nen und Kovalainen müssen im Gen­i­tiv nicht bloß ein harm­los­es “s” am Wor­tende erdulden, nein, es wird ihnen mit­ten in den Namen gehauen: “Häkkisen auto”. Ich denke nicht, daß Mika das son­der­lich ärgert.

    Oder erst die armen Ein­wohn­er Turkus — deren Stadt ver­liert u.a. im Gen­i­tiv einen ganzen Buch­staben: “Turun yliopisto”.

    Die These, die Wort­stämme wür­den deshalb so gerne gekennze­ich­net, weil viele Sprech­er ein “Gefühl” für Eigen­na­men hät­ten, leuchtet daher schw­er­lich ein.

    Also: Daß der “Dep­pe­na­pos­troph” Wort­stämme markiere, reicht mir als Erkärung noch nicht. Da muß man weiterfragen.

    Antworten
  3. Anatol Stefanowitsch

    Herr Müller, die Beobach­tung mit den Wort­stam­m­gren­zen erk­lärt natür­lich nicht (oder nicht voll­ständig) warum Sprech­er des Deutschen den Apos­troph über­haupt „falsch“ ver­wen­den; sie erk­lärt lediglich, nach welchen Prinzip­i­en sie vorge­hen, wenn sie es tun. Bei diesen Prinzip­i­en spie­len sich­er Wort­stam­m­gren­zen all­ge­mein ein Rolle, nicht nur Eigen­na­men, wobei Eigen­na­men dur­chaus eine beson­dere Stel­lung haben könnten.

    Eine ganz vage The­o­rie zum eigentlichen Grund der Ver­wen­dung wäre diese: (i) Sprech­er (ein­er Sprache wie) des Deutschen haben ein gewiss­es Bedürf­nis, Wort­gren­zen zu markieren und (ii) als der Apos­troph auf­tauchte, sah er so aus, als könne er diesem Bedürf­nis ent­ge­genkom­men (da er häu­fig zufäl­lig an Wort­stam­m­gren­zen stand). So bildete sich eine Tra­di­tion her­aus, die zwar nie den Sprung in die Stan­dar­d­orthografie geschafft hat, aber die sicht­bar genug ist, um sich selb­st am Leben zu erhal­ten und vielle­icht sog­ar zu ver­stärken. Das andere Sprachen, etwa das Finnis­che, diese Tra­di­tion nicht haben, spricht zunächst nicht gegen diese The­o­rie, da sich eine entsprechende Tra­di­tion ja nicht zwin­gend her­aus­bilden muss. Im Finnis­chen scheint mir eine der Haupt­funk­tio­nen des Apos­troph die zu sein, iden­tis­che Laute an Sil­ben­gren­zen zu markieren — diese Funk­tion lässt sich nicht so leicht als Stam­m­gren­zensignal uminter­pretieren wie die Aus­las­sungs­funk­tion im Deutschen. So haben die Finnen eventuell das gle­iche Bedürf­nis nach der Markierung von Stam­m­gren­zen, ihre Orthografie bietet ihnen aber kein Satzze­ichen, dass sich hier­für „zweck­ent­frem­den“ ließe.

    Antworten
  4. Hartwig Molzow

    Herr Ste­fanow­itsch,

    Ihnen ist der kleine Lap­sus passiert, “Apos­troph” in zwei Gen­era zu ver­wen­den: “der Gen­i­tiv-Apos­troph”, “das Plur­al-Apos­troph”, in zwei aufeinan­der­fol­gen­den Sätzen. Vielle­icht geht es Ihnen wie mir, der ich zu Schulzeit­en “das Apos­troph” gel­ernt und mir erst später das Maskulinum angewöh­nt habe.

    Ob man die Binde­striche braucht und nicht doch bess­er “Plu­rala­pos­troph” usw. schreibt, mag ich nicht entschei­den; ich würde (regelkonform)auf die Binde­striche verzicht­en. Die sog. Rechtschrei­bung scheint mir eine Binde­strich­seuche zu fördern, die man ja nicht ohne Not mit­machen muß. Was ist denn schon damit gewon­nen, wenn man die Lex­em­gren­ze durch den Binde­strich und Großschrei­bung des zweit­en Nomens über­markiert? Schön­er wird das Schrift­bild dadurch nicht; aber gut, über Geschmack kann man nur bed­ingt streiten.

    Sie machen sich ja nicht expliz­it anheis­chig, einen stren­gen Beweis dafür zu führen, daß die Apos­trophi­tis kein Beispiel für Denglisch sei, leg­en diese These aber doch zumin­d­est nahe. Ihre “Bewe­is­führung” mith­il­fe von Bele­gen vor allem aus dem 19. und früheren Jahrhun­derten kann diese These gar nicht hin­re­ichend unter­mauern. Die Tat­sache, daß die Groß- und Klein­schrei­bung im Deutschen erst eine rel­a­tiv junge orthographis­che Norm ist, würde auch nicht bele­gen, daß es nichts mit Denglisch zu tun hätte, wenn man in unser­er Zeit beobacht­en würde, daß sich eine “gemäßigte Klein­schrei­bung” ausbreitet.

    Um Ihre Leug­nung des denglis­chen Ein­flusses zu stützen, müßte man m. E. quan­ti­ta­tive Erhe­bun­gen über die Ver­wen­dung des Apos­trophs für den Zeitraum etwa 1920–1960 und dann, mit zunehmender zeitlich­er “Auflö­sung”, 1970 bis zur Gegen­wart anstellen. Meine Behaup­tung wäre, daß man sehr wohl fest­stellen würde, daß der Apos­troph im erst­ge­nan­nten Zeitraum wesentlich sel­tener und außer­dem regel­gerechter ver­wen­det wird als in den let­zten etwa 20 Jahren (also in dem Zeitraum, der durch beson­ders inten­siv­en englisch/amerikanische Ein­flüsse geprägt ist). Abge­se­hen davon, daß man wohl für den let­zt­ge­nan­nten Zeitraum ein all­ge­meines Abnehmen der Beherrschung von Sprach­nor­men (ins­beson­dere von orthographis­chen) kon­sta­tieren kann, ist die Hypothese, daß der Grund für die Apos­trophi­tis im Ein­fluß des Englis­chen zu suchen sei, dann doch die nahe­liegend­ste, u. a. eben weil sie in der Werbe­sprache wohl am ver­bre­it­et­sten ist und diese ja all­ge­mein ganz beson­ders denglisch geprägt ist. 

    Wohlge­merkt, diese Behaup­tung wider­spricht nicht Ihrer These, daß sich bei der regel­widri­gen Ver­wen­dung des Apos­troph ein “Gefühl” für Mor­phem­gren­zen zeigt; das ist wohl so. Damit wird aber nicht erk­lärt, wieso dieses Gefühl sich in neuer­er Zeit häu­figer gegen die Regeln durch­set­zt als früher.

     

    [Amn. des IAAS-Admin­is­tra­torenteams: Danke für den Hin­weis mit dem falschen Genus! Wir haben das korrigiert.]

    Antworten
  5. Helmut

    In dem Artikel steht:

    Haben die Apolo­geten der Apos­tro­phe recht mit diesen Annah­men? Ist man ein Depp, wenn einem ein Dep­pe­na­pos­troph her­aus­rutscht? Han­delt es sich um eine Unsitte aus dem Englischen?”

    Die Frage ist hier: Was ist ein Apolo­get? Passt jeden­falls gut zu Apos­troph, fängt ja auch mit “Apo” an; Apothek­er gin­ge vielle­icht auch.

    Antworten
  6. Anatol Stefanowitsch

    Hel­mut, die Wikipedia hätte Ihnen da vielle­icht weitergeholfen:

    Ein Apolo­get oder Apol­o­gist ist ursprünglich ein Vertreter der christlichen Apolo­gie, die das Chris­ten­tum im Römis­chen Reich als vernün­ftige Reli­gion aufzeigt und gegen Angriffe ander­er Reli­gio­nen und Philoso­phien verteidigt. 

    […]

    Heute wird der Begriff auch im weit­eren Sinn genutzt für einen auf gehoben­er intellek­tueller oder wis­senschaftlich­er Ebene argu­men­tieren­den Vertei­di­ger ein­er Lehre oder Ide­olo­gie, im über­tra­ge­nen Sinn für einen Vertei­di­ger ein­er Irrlehre. [de.wikipedia.org]

    Ein Apolo­get der Apos­tro­phen ist dem­nach ein Vertreter der apos­trophis­chen Apolo­gie, die die Schrei­bung des Apos­troph in Deutsch­land (irriger­weise) als Teil ein­er vernün­fti­gen Orthografie aufzeigt und gegen Angriffe ander­er Orthografien und rechtschreiberisch­er Philoso­phien verteidigt.

    Was dage­gen der von Ihnen vorgeschla­gene „Apothek­er der Apos­tro­phen“ sein soll, kann ich Ihnen nicht genau sagen. Ein­er, der „falsch“ ver­wen­dete Apos­tro­phen mit heil­samen Tin­k­turen ver­sorgt, vielleicht?

    Antworten
  7. Wolfgang Hömig-Groß

    Apothek­er sind das genaue Gegen­teil der Apolo­geten: Die verkaufen die Apos­tro­phen so teuer, dass sie kein­er mehr benutzt. Und wenn jemand bil­ligere anbi­etet, schießen sie ihn vom Markt. Wohinge­gen die Apolo­geten ja eher Anhänger ein­er Apoth­e­ose der Apos­tro­phen sind; und Zugänge zum Göt­tlichen wer­den meist bil­lig gehalten …

    Antworten
  8. Helmut

    Ana­tol, Sie haben kor­rekt recher­chiert. Nun fehlt nur noch die Schlussfolgerung:

    Ihr Text sollte also in Ihrem Sinn richtig laut­en “Haben die Apos­tro­phen­jäger recht …”. 

    Aber es macht keinen Spass, wenn man einen iro­nisch gemein­ten Kom­men­tar zu einem Fall von genau umgekehrter Ver­wen­dung eines Fremd­worts auch noch erläutern muss. Bess­er ist da schon die kreative Inter­pre­ta­tion des Apothek­ers in Kom­men­tar 7. Darauf wäre ich nicht selb­st gekommen.

    Antworten
  9. Simon

    Nach dem Exkurs über Apolo­geten und Apothek­er würde ich gerne noch ein­mal den inter­na­tionalen Aspekt des The­mas aufgreifen. 

    Wie Hartwig in (4) geschrieben hat, scheint der Miss­brauch des Gen­i­tiv-Apos­trophs in den let­zten 20 Jahren erhe­blich zugenom­men zu haben, und ich meine auch, in etwa ähn­lichem Maße, wie wir selb­st im Deutschen Sprachraum dem Englis­chen stärk­er aus­ge­set­zt sind. Ein Beweis für den Ursprung des Gen­i­tiv-Apos­trophs ist das nicht, aber ein starkes Indiz sicherlich.

    Für das Plur­al-Apos­troph habe ich noch eine andere, eben­falls inter­na­tionale Erklärung. 

    In dem Unternehmen, in dem ich arbeite, sprechen wir etwa 30 ver­schiedene Sprachen, weswe­gen “logis­cher­weise” Englisch die haupt­säch­lich ver­wen­dete Kom­mu­nika­tion­ssprache ist. Nun kann man beim gesproch­enen englis­chen Wort fast sich­er auf die Mut­ter­sprache schließen, denn jed­er bringt seine Satzmelo­di­en mit, egal wie britisch oder US-amerikanisch er seine einzel­nen Worte ausspricht. Erst neulich aber — und jet­zt kommt gle­ich das Argu­ment — ließ sich Ähn­lich­es auch in ein­er englis­chsprachi­gen Präsen­ta­tion find­en: das Plur­al-Apos­troph verteilt über mehrere Seit­en. Nach der Präsen­ta­tion habe ich den Kol­le­gen darauf ange­sprochen, dass er wohl nie den Gen­i­tiv son­dern immer den Plur­al gemeint habe. Das hat er auch gerne bestätigt: “Und im Nieder­ländis­chen set­zen wir hier eben ein Apostroph.” 

    Es kön­nte also sein, dass auch das Plur­al-Apos­troph im Deutschen zumin­d­est teil­weise aus anderen, wenn auch nicht englis­chsprachi­gen Län­dern, hereingeschwappt ist — oder noch schwappt.

    Antworten
  10. Pingback: Vom typographischen Fliegendreck | gnaddrig ad libitum

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.