Übers Wochenende habe ich weiter über das Thema „Deutsch im Grundgesetz“ nachgedacht und mir dabei die derzeitige Gesetzeslage noch einmal etwas genauer angesehen. Das war für mich sehr lehrreich. Bevor ich fortfahre aber ein einschränkender Kommentar: ich habe zwar vor langer Zeit einmal zwei Semester Wirtschaftsrecht studiert, aber ich bin natürlich kein Rechtsexperte. Als Sprachwissenschaftler denke ich bei „Gesetz“ normalerweise an so etwas wie die Erste Lautverschiebung, die einst dazu geführt hat, dass die germanischen Sprachen sich lautlich vom Rest der indoeuropäischen Sprachfamilie getrennt haben. Ich kann also nicht garantieren, dass ich die weniger erhabenen Gesetze und Verwaltungsvorschriften, über die ich im Folgenden spreche, richtig verstanden habe.
In meinem Posting vom Freitag habe ich ja bereits die Gesetze genannt, in denen Deutsch als Amtssprache festgelegt ist. Das wichtigste Gesetz in diesem Zusammenhang ist dabei das Verwaltungsverfahrensgesetz (BVwVfG). Einfach gesagt regelt dieses Gesetz den Umgang der Bundesbehörden mit den Bürgern:
Das Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzes ist die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet ist; es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes oder den Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrags ein. (BVwVfG, § 9)
Und Artikel 23 des BVwVfG regelt die Amtssprache. Abschitt 1 lautet „Die Amtssprache ist deutsch.“ Abschitt 2 regelt, dass Dokumenten, die in anderen Sprachen vorgelegt werden, eine Übersetzung beigelegt werden muss oder von der Behörde kostenpflichtig angefertigt werden kann. Abschnitt 3 regelt, dass ein Verfahren erst dann beginnt, wenn eine solche Übersetzung vorliegt. Und Abschnitt 4 besagt, dass durch das Einreichen von fremdsprachigen Dokumenten Fristen nur dann gewahrt werden können, wenn innerhalb eines angemessenenen Zeitraums eine Übersetzung nachgereicht wird.
Das BVwVfG gilt zunächst nur für Bundesbehörden, aber auch auf Länderebene ist die Amtssprache festgelegt, denn ein entsprechender Artikel mit weitgehend identischem Wortlaut findet sich auch in den Verwaltungsverfahrensgesetzen aller Bundesländer außer Berlin, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt, die direkt die Vorschriften des BVwVfG übernehmen (wer sich selbst überzeugen möchte: es ist in allen Fällen ebenfalls der Artikel 23 des entsprechenden Gesetzes, außer in Schleswig-Holstein, wo es Artikel 82a ist und in Sachsen, wo es Artikel 2 der „Dienstordnung für die Behörden“ ist).
Der Artikel 23 der Verwaltungsverfahrensgesetze ist kein inspirierender Text. Er regelt den drögen Behördenalltag und lässt sich nur schwer medienwirksam für ideologische Zwecke nutzbar machen. Aber er stellt unmissverständlich klar, welche Sprache man in Deutschland sprechen muss, wenn man staatsbürgerliche Rechte und Pflichten ausüben muss oder möchte.
Wer die deutsche Sprache ins Grundgesetz aufnehmen möchte, muss sich also fragen lassen, welchem über den derzeitigen Stand hinausgehenden Zweck das dienen soll. Dort, wo der Bürger mit dem Staat in Kontakt kommt, ist Deutsch bereits Pflicht. In welchen weiteren Bereichen soll die Verwendung des Deutschen vorgeschrieben werden?
Bei meiner Recherche bin ich auf eine interessante Tatsache gestoßen, der ich mir bislang nicht bewusst war: in drei Bundesländern wird neben dem Deutschen einer weiteren Sprache eine offizielle Funktion zugestanden. In Schleswig-Holstein gibt es eine friesischsprachige Volksgruppe (Friesisch ist eine Unterfamilie des Wetgermanischen, deren nächster lebender Verwandter das Englische ist) und in Brandenburg und Sachsen gibt es eine sorbische Volksgruppe (Sorbisch ist eine Unterfamilie der Westslawischen, verwandt z.B. mit dem Polnischen und Tschechischen). Diesen Volksgruppen ist die Verwendung ihrer Sprachen in amtlichen Kontexten explizit erlaubt.
In Schleswig-Holstein besagt das „Gesetz zur Förderung des Friesischen im öffentlichen Raum“ von 2004, dass im Kreis Nordfriesland und auf Helgoland anstelle des Deutschen auch das Friesische verwendet werden kann:
Die Bürgerinnen und Bürger können sich in friesischer Sprache an Behörden im Kreis Nordfriesland und auf der Insel Helgoland wenden und Eingaben, Belege, Urkunden und sonstige Schriftstücke in friesischer Sprache vorlegen, § 82 a Abs. 2 bis 4 des Landesverwaltungsgesetzes gilt entsprechend, sofern die Behörde nicht über friesische Sprachkompetenz verfügt. … (FriesischG, Art. 1, Abs. 2)
Dem Gesetz ist übrigens eine friesische Übersetzung beigefügt. Die entsprechende Passage lautet auf Friesisch:
Da bürgerine än bürgere koone ouerfor e ferwåltinge önj e kris Nordfraschlönj än awt ailönj Hålilönj di friiske spräke brüke än insäkne, dokumänte, urkunde än ouder schraftlik materiool önj e friiske spräke forleede. Wan deer niimen önj e ferwålting as, wat friisk koon, jült § 82 a oufsnit 2 bit 4 foont loonsferwåltingsgesäts südänji uk fort friisk. …
Wie der letzte Satz der zitierten Passage zeigt, ist das Gesetz eher eine Absichtserklärung: wenn in der Behörde niemand Friesisch spricht, müssen, wie bei jeder anderen Fremdsprache, Übersetzungen vorgelegt werden. Auch bei den Kosten und Fristen werden dann für das Friesische keine Ausnahmen gemacht.
Brandenburg ist da schon etwas konsequenter. Das „Verwaltungsverfahrensgesetz für das Land Brandenburg“ von 2004 übernimmt zunächst die vier oben zusammengefassten Artikel des BVwVfG, fügt dann aber einen fünften Artikel hinzu:
Die Bestimmungen der Absätze 2 bis 4 gelten innerhalb des Siedlungsgebietes der Sorben mit der Maßgabe, daß von sorbischen Verfahrensbeteiligten Kosten für Dolmetscher oder Übersetzer im Verwaltungsverfahren nicht erhoben werden. Abweichend von Absatz 3 beginnt der Lauf einer Frist auch dann, wenn innerhalb des Siedlungsgebietes der Sorben eine Anzeige, ein Antrag oder eine Willenserklärung in sorbischer Sprache bei der Behörde eingeht.
In Brandenburg werden Fristen durch das Einreichen von Dokumenten in sorbischer Sprache also auch dann gewahrt, wenn in der Behörde niemand Sorbisch spricht, und es fallen für die Sprecher des Sorbischen auch keine Übersetzungskosten an. Trotzdem ist auch für Sorben als Regelfall die Verwendung des Deutschen vorgesehen.
Am konsequentesten ist Sachsen. Artikel 1 der „Dienstordnung für die Behörden des Freistaates Sachsen“ besagt im Einklang mit dem Bundesrecht: „Die Amtssprache ist deutsch“. Aber Artikel 2 fügt lapidar hinzu: „Eingänge in sorbischer Sprache sind wie Eingänge in deutscher Sprache zu behandeln“. Keine Einschränkung, keine Rede von Fristen oder Übersetzungen. Das Sorbische wird hier klar dem Deutschen gleichgestellt (ohne allerdings selbst explizit den Status einer Amtssprache zu erhalten).
Diese drei Beispiele machen deutlich, dass es ein weiteres Argument gegen eine im Grundgesetz festgeschriebene Staatssprache gibt: in welcher Sprache der Staat mit seinen Bürgern spricht, sollte Ländersache sein, denn jedes Bundesland hat seine eigene, einzigartige Sprachsituation, der ein sprachlicher Vorschlaghammer im Grundgesetz kaum gerecht werden könnte.
Der Autor sollte dann aber präzise zwischen Paragraphen und Artikeln unterscheiden. Das Grundgesetz ist ein Artikelgesetz (Verfassung), der überwiegende Teil der Gesetzgebung ist in Paragraphen geordnet.