Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus

Von Anatol Stefanowitsch

CSU-Gen­er­alsekretär Markus Söder, der vor eini­gen Jahren vorschlug, die Inte­gra­tion von Schülern aus Migranten­fam­i­lien durch das Sin­gen der Nation­al­hymne an bayrischen Schulen zu beschle­u­ni­gen, hat­te ja am Dien­stag bei Mais­chberg­er angeregt, die deutsche Sprache im Grundge­setz als Staatssprache festzuschreiben. 

Das haben andere vor ihm auch schon gefordert, z.B. der Vere­in deutsche Sprache schon 2005 und Bun­destagspräsi­dent Nor­bert Lam­mert im let­zten Monat (laut Tagesspiegel haben Angela Merkel und Kurt Beck bere­its „Zus­tim­mung signalisiert“).

Nun mag es zunächst erstaunen, dass im Grundge­setz bis­lang keine Staatssprache fest­gelegt ist. Schließlich ist ja auch geregelt, dass Berlin die Haupt­stadt ist (Art. 22, Abs. 1) und dass die Bun­des­flagge schwarz-rot-gold ist (Art. 22, Abs. 2). Eine Staatssprache sucht man aber vergebens. Die einzige Erwäh­nung des Wortes Sprache find­et sich unter den Grun­drecht­en, und dort steht:

Art. 3, Abs. 3. Nie­mand darf wegen seines Geschlecht­es, sein­er Abstam­mung, sein­er Rasse, sein­er Sprache, sein­er Heimat und Herkun­ft, seines Glaubens, sein­er religiösen oder poli­tis­chen Anschau­un­gen benachteiligt oder bevorzugt wer­den. Nie­mand darf wegen sein­er Behin­derung benachteiligt werden.

Den Schöpfern des Grundge­set­zes ist es also entwed­er schlicht nicht in den Sinn gekom­men, dass irgend­je­mand den Sta­tus des Deutschen als Amtssprache in Frage stellen kön­nte, oder sie haben bewusst darauf verzichtet, eine Amtssprache festzule­gen. Einen kleinen Hin­weis auf die Amt­sprache erhält man bei der Lek­türe des Grundge­set­zes natür­lich trotz­dem — immer­hin ist es in Deutsch verfasst.

Das bedeutet nun keines­falls, dass das Deutsche in Deutsch­land nicht geset­zlich ver­ankert wäre. Eine Rei­he von Geset­zen enthält explizite Hin­weise auf das Deutsche als Amtssprache, etwa das Ver­wal­tungsver­fahrenge­setz §23, Abs. 1: „Die Amtssprache ist deutsch“; die Abgabenord­nung, §87, Abs. 1: „Die Amtssprache ist deutsch“; das Sozialge­set­zbuch, zehntes Buch, $19, Abs. 1: „Die Amtssprache ist deutsch“; und das Gesetz über den Schutz von Marken und son­sti­gen Kennze­ichen, §93, Abs. 1: „Die Sprache vor dem Paten­tamt und vor dem Patent­gericht ist deutsch“. Zahllose andere Geset­ze enthal­ten For­mulierun­gen wie diese aus der Zivil­prozes­sor­d­nung (§1075): „Aus dem Aus­land einge­hende Ersuchen auf Beweisauf­nahme sowie Mit­teilun­gen … müssen in deutsch­er Sprache abge­fasst oder von ein­er Über­set­zung in die deutsche Sprache begleit­et sein.“ Nur im Grundge­setz ste­ht eben nichts zu ein­er Amtssprache. Warum sollte man diesen Zus­tand ändern? Sehen wir uns zunächst ein­mal Söders Begrün­dung an:

Lojew­s­ki: Reden wir über den Vorschlag, den Herr Söder macht. Er sagt: in die Ver­fas­sung, in das Grundge­setz, die Sprache ist deutsch. Was bringt das? Was wird das helfen?

Söder: Das hat zunächst mal eine große Sym­bol­wirkung, weil man sich klar zu der Sprache beken­nt. … Also, es geht let­ztlich um zwei Dinge: das eine ist, wie kön­nen wir es schaf­fen, auch, sagen wir mal so, für Deutsch­land eine prä­gende Kraft der Sprache zu, zu sym­bol­isieren, und das, glaube ich, kann man, wie in vie­len anderen Län­dern der Welt auch, machen, indem man beispiel­sweise ins Grundge­setz schreibt, mit dem Sym­bol­w­ert, die Sprache in Deutsch­land ist ein­fach Deutsch.

Den angekündigten zweit­en Punkt nen­nt er dann nicht, kommt aber nach einem kurzen Exkurs über Dialek­te auf das The­ma zurück:

Man merkt das übri­gens an den osteu­ropäis­chen Län­dern, die sehr sehr stark, denkt man an das Baltikum, sehr sehr stark drauf wert legt, die eigene Sprache sprechen zu dür­fen, und sie auch kul­turell darstellen zu dür­fen. Also, glaube ich, ist das schon ein wichtiger Wert, und deswe­gen ist das Sin­gen der Nation­al­hymne in Türkisch, glaube ich nicht Glanze [Glan­zlicht?], so wie Herr Strö­bele sagt, son­dern schon drauf Wert zu leg­en, die eigene Sprache und damit auch die eigene Kul­tur auszudrücken.

Es geht also laut Söder zum einen um eine „Sym­bol­wirkung“, zum anderen scheint er eine Bedro­hung der deutschen Sprache zu sehen, die etwa mit der Unter­drück­ung des Let­tis­chen, Litauis­chen und Est­nis­chen zu Zeit­en der Sow­je­tu­nion ver­gle­ich­bar wäre.

Fan­gen wir mit der Sym­bol­wirkung an. Ich bin kein Staat­srechtler und deshalb mag ich mich irren, aber nach meinem Ver­ständ­nis ist das Grundge­setz nicht primär ein Ort für sym­bol­is­che Hand­lun­gen. Das, was im Grundge­setz ste­ht, hat konkrete Kon­se­quen­zen. Nach diesen Kon­se­quen­zen hat auch Chris­t­ian Strö­bele gle­ich gefragt:

Strö­bele: Ich weiß noch nicht, wo Sie das ins Grundge­setz eigentlich rein­schreiben wollen. Bei Staat­szie­len oder Grun­drecht­en? Und muss dann über­all immer Deutsch gesprochen wer­den? Was hat das für Kon­se­quen­zen? Wir haben so ’ne Infla­tion inzwis­chen, was noch alles ins Grundge­setz rein soll. Die Kun­st soll rein … der Sport soll rein, die Sprache soll rein, also wir kön­nen jet­zt noch unendlich viel ins Grundge­setz rein­schreiben, nur fragt sich der geneigte Leser des Grundge­set­zes dann, was heißt das ganz konkret.

In die Grun­drechte braucht man die deutsche Sprache nicht hineinzuschreiben. Da laut Artikel 3 nie­mand wegen sein­er Sprache, also auch der deutschen Sprache, bevorzugt oder benachteiligt wer­den darf, gibt es bere­its ein Grun­drecht auf die Ver­wen­dung der deutschen Sprache. Damit ist auch klar, dass Söders Ver­gle­ich mit den Sprachen der baltischen Län­der völ­lig unangemessen ist — in Deutsch­land wird keine Sprache unter­drückt, schon gar nicht die deutsche.

Die Idee dürfte deshalb wohl eher sein, die deutsche Sprache unter den Staat­szie­len zu ver­ankern. Das regt der Vere­in deutsche Sprache auch ganz expliz­it an:

Der VDS schlägt einen neuen Artikel 22 a vor. „Die Sprache der Bun­desre­pub­lik ist Deutsch“, soll er lauten.

Damit würde die Ver­wen­dung des Deutschen aber eher den Charak­ter ein­er Pflicht annehmen, als den eines Rechts. Aber wie wird sich diese Pflicht konkret gestal­ten? Wird es aus­ländis­chen Mit­bürg­ern unter­sagt, vor Gericht einen Dol­metsch­er hinzuzuziehen? Wird es Jugendlichen aus Migranten­fam­i­lien unter­sagt, auf dem Schul­hof oder im Sportvere­in ihre Mut­ter­sprache zu sprechen? Wird es Mit­gliedern sprach­lich­er Min­der­heit­en (z.B. der dänis­chen Min­der­heit in Schleswig-Hol­stein oder der sor­bis­chen Min­der­heit in Bran­den­burg und Sach­sen) unter­sagt, ihre Sprache in der Öffentlichkeit zu ver­wen­den? Wird es Sprech­ern von Dialek­ten (z.B. dem Bairischen oder der plattdeutschen Dialek­te) unter­sagt, ihren Dialekt vor Gericht oder auf dem Schul­hof zu sprechen? Wird die Ver­wen­dung von Lehn­wörtern im öffentlichen Raum ver­boten (wie es in Frankre­ich der Fall ist)? Wird es deutschen Ver­la­gen ver­boten, beispiel­sweise Fach­büch­er oder Fachzeitschriften in englis­ch­er Sprache zu veröf­fentlichen? Wird das Deutsche an deutschen Uni­ver­sitäten zur einzi­gen erlaubten Unter­richtssprache? Wird die deutsche Sprache zu einem staatlichen Sym­bol, dessen Her­ab­würdi­gung unter Strafe gestellt wird?

Solange solche Fra­gen nicht offen gestellt und disku­tiert wer­den, halte ich eine Ver­ankerung der deutschen Sprache im Grundge­setz nicht nur über­flüs­sig, wie Mar­cel Reich-Ran­ic­ki, ich halte sie für gefährlich. Sprache wird häu­fig als Werkzeug zur Diskri­m­inierung von Min­der­heit­en ver­wen­det, wo andere Arten der Diskri­m­inierung offene Empörung aus­lösen wür­den. Wenn Kurt Beck das Wort Unter­schicht ver­wen­det, kostet ihn das fast den Parteivor­sitz — wenn Bas­t­ian Sick sich über Kassiererin­nen, Bäck­ereiverkäuferin­nen und Servierkräfte lustig macht, in deren Sozi­olekt das Wörtchen ein­mal anders ver­wen­det wird, als er es tun würde, applaudiert die Nation. Wenn Wal­ter Krämer, Vor­sitzen­der der Vere­ins deutsche Sprache, sich abfäl­lig über die Bewohn­er der Karibik äußern würde, würde man ihn als Ras­sis­ten beze­ich­nen. Wenn er die Deutschen davor warnt sich auf das sprach­lichen Niveau von Bana­nenpflück­ern zu begeben, wird er als Ret­ter der deutschen Sprache gefeiert. Und die Türk­endeutsch-Debat­te hat­ten wir ja auch ger­ade erst. Solche Diskri­m­inierun­gen über den Umweg der Sprache wür­den durch eine Ver­ankerung der deutschen Sprache im Grundge­setz eine „sym­bol­is­che“ Recht­fer­ti­gung erhalten.

[Mehr zum The­ma: Amtssprache Deutsch]

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

2 Gedanken zu „Alle Sprachgewalt geht vom Volke aus

  1. Anatol Stefanowitsch

    Ich sehe ger­ade, dass sich sein­erzeit um diesen Beitrag ein heiße Debat­te gespon­nen hat, allerd­ings lei­der nicht hier son­dern im Forum des Vere­in deutsche Sprache (sie fängt etwa auf hal­ber Höhe der Seite an):

    http://www.vds-ev.de/forum/viewtopic.php?TopicID=2407&page=4

    Ich lasse die Debat­te für sich ste­hen und bedanke mich bei „merz.“ für den Ver­such, meine Denkanstöße in einem manch­mal ide­ol­o­gisch etwas aufge­heizten Umfeld zu disku­tieren (obwohl die Diskus­sion in diesem konkreten Fall sehr sach­lich ver­laufen ist).

    Antworten
  2. Peer

    Danke für den Link. Ist ja ein inter­es­san­ter Haufen: Die meis­ten betra­cht­en das Aufnehmen als sym­bol­is­che Geste (für was eigentlich), ein­er fürchtet “wenn die das nicht machen wird Staat­sprache bald rus­sisch und türkisch” (was witzig wäre, wenn es nicht so beden­klich wäre) und wieder ein­er hofft darauf, dass dann deutsche Radiosender nur (oder haupt­säch­lich) deutsche Musik spielen… 

    Das zeigt, dass hin­term dem Vorschlag “Deutsch ins Grundge­setz” eine Menge mehr steckt, als die Befür­worter zugeben wollen…

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