In der Fremdsprachendidaktik bezeichnet man mit dem Begriff „falsche Freunde“ zweisprachige Wortpaare, die ähnlich klingen oder aussehen, die aber völlig unterschiedliche Bedeutungen haben. Lerner, die das Wort in der Fremdsprache sehen, glauben also, einem alten Freund zu begegnen, obwohl sie es mit einem völlig Fremden zu tun haben. Ein typisches Beispiel ist das englische Wort become, das dem deutschen bekommen ähnlich sieht, aber „werden“ bedeutet. So kann es vorkommen, dass der deutsche Gast, der in einem Londoner Restaurant arglos fragt „Can I become a beefsteak, please?“, sich unversehens unter dem Messer des Chefkochs wiederfindet. Falsche Freunde sind also gefährlich und die Fremdsprachendidaktiker nehmen sie deshalb sehr ernst (eine überwältigende Liste falscher Freunde in zwanzig Sprachen findet sich übrigens in der Wikipedia, vielleicht regt diese Liste ja den einen oder die andere Leser/in zum Posten von albernen Witzen an…).
Warum erzähle ich das überhaupt? Weil Andreas’ vergnüglicher linguistischer Ferienbericht mir klar gemacht hat, dass es auch falsche falsche Freunde gibt, also Wörter, die sich ähnlich sehen und die etwas Ähnliches bedeuten, von denen das aber ein durchschnittlicher Sprecher der fremden Sprache nicht weiß, so dass der Effekt am Ende der gleiche ist, wie bei echten falschen Freunden.
Andreas’ amerikanische Freundin war amüsiert, als er — vermutlich in einer Beschreibung seines Linguistenalltags — von einem informant sprach. Ihrer Meinung nach ist ein informant jemand, der seine Gaunerkollegen bei der Polizei verpfeift. Das ist natürlich richtig, und das gilt ja auch für das deutsche Wort Informant. Allerdings hat das englische Wort, wie das deutsche, mindestens zwei Bedeutungen, nämlich die eben genannte und die, auf die Andreas hinauswollte. So sagt der Merriam-Webster, das Standardwörterbuch des amerikanischen Englisch:
in·for·mant
Pronunciation: in-‘for‑m&nt
Function: noun
: a person who gives information : as a : INFORMER b : one who supplies cultural or linguistic data in response to interrogation by an investigator
Der Vollständigkeit halber hier noch der Eintrag für informer, auf den sich der Eintrag bezieht (das Wort informer ist Reggae-Liebhabern vielleicht noch aus dem gleichnamigen Song von Snow bekannt, der sich unter den VH1’s 50 Most Awesomely Bad Songs…Ever verewigen durfte):
in·form·er
Pronunciation: in-‘for‑m&r
Function: noun
1 : one that imparts knowledge or news
2 : one that informs against another; specifically : one who makes a practice especially for a financial reward of informing against others for violations of penal laws
Andreas war also völlig im Recht mit seiner Verwendung, die amerikanische Muttersprachlerin hat sich in ihrer Interpretation des Wortes geirrt. Menschlich kann man ihr das sicher verzeihen, vor allem, wenn sie keine Anthropologin oder Linguistin ist. Zudem wird das Wort von amerikanischen Sprachwissenschaftlern wegen der negativen Konnotationen heutzutage gerne gemieden und durch das etwas prätenziöse consultant ersetzt. Die deutschen Linguisten sind da weniger zimperlich.
Sprachwissenschaftlich gesehen sind die falschen falschen Freunde aber höchst interessant. Stellen wir uns einmal vor, Andreas wäre ein amerikanischer Sprachwissenschaftler gewesen, der einer amerikanischen Nicht-Sprachwissenschaftlerin gegenüber das Wort informant in einem für sie ungewohnten Kontext verwendet hätte. Seine Gesprächspartnerin hätte automatisch angenommen, dass das Wort wohl eine weitere, ihr nicht bekannte Verwendungsmöglichkeit hat — man könnte das als „muttersprachlichen Vertrauensvorschuss“ bezeichnen. Aber weil er eben kein Amerikaner ist, ist sie sofort davon ausgegangen, dass er einen Fehler gemacht haben muss — man könnte das als „fremdsprachliche Unfähigkeitsvermutung“ bezeichnen.
Als Nicht-Muttersprachler kämpft man in der Fremdsprache also nicht nur mit der Grammatik und den Vokabeln zu kämpfen, sondern man muss zusätlich die Unfähigkeitsvermutung überwinden. Das schränkt unseren kommunikativen Handlungsspielraum in einer Fremdsprache erheblich ein, da wir nicht nur Angst vor echten und falschen falschen Freunden haben müssen, sondern uns auch jede Möglichkeit genommen wird, die fremde Sprache kreativ zu verwenden. Sprachspiele, Wortwitz, rhetorische Höhenflüge und poetische Anwandlungen — alles, was von der Norm abweicht, wird uns sofort als Unfähigkeit ausgelegt.
P.S.. Übrigens, falls Studierende der angewandten Sprachwissenschaft, der Sprachlehr- und ‑lernforschung oder der Fremdsprachendidaktik dies lesen und noch kein Thema für ihre Examensarbeit gefunden haben: Soweit ich weiß, sind falsche falsche Freunde bislang in der Fremdsprachendidaktik noch nicht erforscht worden. Auch zum kreativen Gebrauch von Fremdsprachen gibt es noch Einiges zu erforschen: es gibt Arbeiten, die sich mit der Frage beschäftigen, ob Sprachspiele in der Fremdsprache zum Lernerfolg beitragen können (z.B. Tarone 2000, Bell 2005) und Arbeiten, die erforschen, inwieweit Sprachspiele als Zeichen einer fortgeschrittenen fremdsprachlichen Kompetenz aufgefasst werden können/sollten (z.B. Belz 2002a, 2002b), aber mir fallen im Moment keine Studien ein, die systematisch erforscht hätten, wie Muttersprachler (oder andere Nicht-Muttersprachler) auf solche Sprachspiele reagieren. Ich nehme an, dass die Reaktionen eher negativ sein werden, da in der Zweitspracherwerbsforschung recht gut dokumentiert ist, dass die „kommunikative Last“ fast vollständig auf den Schultern des Nicht-Muttersprachlers lastet, dass dieser also allein für den kommunikativen Erfolg einer sprachlichen Interaktion verantwortlich gemacht wird (eine Zusammenfassung bietet Rajadurai 2007). Sprachspiel erfordert aber die Kooperation des Gesprächspartners.
BELL, Nancy D. (2005). Exploring L2 language play as an aid to SLL: A case study of humour in NS–NNS interaction. Applied Linguistics 26(2), 192–218.
BELZ, Julie A. (2002a). The myth of the deficient communicator. Language Teaching Research 6(1), 59–82.
BELZ, Julie A. (2002b). Second language play as a representation of the multicompetent self in foreign language study. Journal of Language, Identity & Education 1(1), 13–39.
RAJADURAI, Joanne. (2007). Intelligibility studies: a consideration of empirical and ideological issues. World Englishes 26(1), 87–98. [HTML]
TARONE, Elaine (2000). Getting serious about language play: Language play, interlanguage variation and second language acquisition. In: B. Swerzbin, F. Morris, M. Anderson, C. Klee und E. Tarone (Hg.), Social and Cognitive Factors in SLA: Proceedings of the 1999 Second Language Research Forum. Somerville, MA: Cascadilla Press, 31–54.
Marshall McLuhans tiefsinnige Einsicht „We become what we behold“ wird durch die falschen Freunde etwas trivial: „Wir bekommen, was wir behalten“…