Falsche falsche Freunde

Von Anatol Stefanowitsch

In der Fremd­sprachen­di­dak­tik beze­ich­net man mit dem Begriff „falsche Fre­unde“ zweis­prachige Wort­paare, die ähn­lich klin­gen oder ausse­hen, die aber völ­lig unter­schiedliche Bedeu­tun­gen haben. Lern­er, die das Wort in der Fremd­sprache sehen, glauben also, einem alten Fre­und zu begeg­nen, obwohl sie es mit einem völ­lig Frem­den zu tun haben. Ein typ­is­ches Beispiel ist das englis­che Wort become, das dem deutschen bekom­men ähn­lich sieht, aber „wer­den“ bedeutet. So kann es vorkom­men, dass der deutsche Gast, der in einem Lon­don­er Restau­rant arg­los fragt „Can I become a beef­steak, please?“, sich unverse­hens unter dem Mess­er des Chefkochs wiederfind­et. Falsche Fre­unde sind also gefährlich und die Fremd­sprachen­di­dak­tik­er nehmen sie deshalb sehr ernst (eine über­wälti­gende Liste falsch­er Fre­unde in zwanzig Sprachen find­et sich übri­gens in der Wikipedia, vielle­icht regt diese Liste ja den einen oder die andere Leser/in zum Posten von alber­nen Witzen an…). 

Warum erzäh­le ich das über­haupt? Weil Andreas’ vergnüglich­er lin­guis­tis­ch­er Ferien­bericht mir klar gemacht hat, dass es auch falsche falsche Fre­unde gibt, also Wörter, die sich ähn­lich sehen und die etwas Ähn­lich­es bedeuten, von denen das aber ein durch­schnit­tlich­er Sprech­er der frem­den Sprache nicht weiß, so dass der Effekt am Ende der gle­iche ist, wie bei echt­en falschen Freunden.

Andreas’ amerikanis­che Fre­undin war amüsiert, als er — ver­mut­lich in ein­er Beschrei­bung seines Lin­guis­te­nall­t­ags — von einem infor­mant sprach. Ihrer Mei­n­ung nach ist ein infor­mant jemand, der seine Gaunerkol­le­gen bei der Polizei verpfeift. Das ist natür­lich richtig, und das gilt ja auch für das deutsche Wort Infor­mant. Allerd­ings hat das englis­che Wort, wie das deutsche, min­destens zwei Bedeu­tun­gen, näm­lich die eben genan­nte und die, auf die Andreas hin­aus­wollte. So sagt der Mer­ri­am-Web­ster, das Stan­dard­wörter­buch des amerikanis­chen Englisch:

in·for·mant

Pro­nun­ci­a­tion: in-‘for‑m&nt

Func­tion: noun

: a per­son who gives infor­ma­tion : as a : INFORMER b : one who sup­plies cul­tur­al or lin­guis­tic data in response to inter­ro­ga­tion by an investigator

Der Voll­ständigkeit hal­ber hier noch der Ein­trag für informer, auf den sich der Ein­trag bezieht (das Wort informer ist Reg­gae-Lieb­habern vielle­icht noch aus dem gle­ich­nami­gen Song von Snow bekan­nt, der sich unter den VH1’s 50 Most Awe­some­ly Bad Songs…Ever verewigen durfte):

in·form·er

Pro­nun­ci­a­tion: in-‘for‑m&r

Func­tion: noun

1 : one that imparts knowl­edge or news

2 : one that informs against anoth­er; specif­i­cal­ly : one who makes a prac­tice espe­cial­ly for a finan­cial reward of inform­ing against oth­ers for vio­la­tions of penal laws

Andreas war also völ­lig im Recht mit sein­er Ver­wen­dung, die amerikanis­che Mut­ter­sprach­lerin hat sich in ihrer Inter­pre­ta­tion des Wortes geir­rt. Men­schlich kann man ihr das sich­er verzei­hen, vor allem, wenn sie keine Anthro­polo­gin oder Lin­guistin ist. Zudem wird das Wort von amerikanis­chen Sprach­wis­senschaftlern wegen der neg­a­tiv­en Kon­no­ta­tio­nen heutzu­tage gerne gemieden und durch das etwas präten­z­iöse con­sul­tant erset­zt. Die deutschen Lin­guis­ten sind da weniger zimperlich.

Sprach­wis­senschaftlich gese­hen sind die falschen falschen Fre­unde aber höchst inter­es­sant. Stellen wir uns ein­mal vor, Andreas wäre ein amerikanis­ch­er Sprach­wis­senschaftler gewe­sen, der ein­er amerikanis­chen Nicht-Sprach­wis­senschaft­lerin gegenüber das Wort infor­mant in einem für sie unge­wohn­ten Kon­text ver­wen­det hätte. Seine Gesprächspart­ner­in hätte automa­tisch angenom­men, dass das Wort wohl eine weit­ere, ihr nicht bekan­nte Ver­wen­dungsmöglichkeit hat — man kön­nte das als „mut­ter­sprach­lichen Ver­trauensvorschuss“ beze­ich­nen. Aber weil er eben kein Amerikan­er ist, ist sie sofort davon aus­ge­gan­gen, dass er einen Fehler gemacht haben muss — man kön­nte das als „fremd­sprach­liche Unfähigkeitsver­mu­tung“ bezeichnen.

Als Nicht-Mut­ter­sprach­ler kämpft man in der Fremd­sprache also nicht nur mit der Gram­matik und den Vok­a­beln zu kämpfen, son­dern man muss zusätlich die Unfähigkeitsver­mu­tung über­winden. Das schränkt unseren kom­mu­nika­tiv­en Hand­lungsspiel­raum in ein­er Fremd­sprache erhe­blich ein, da wir nicht nur Angst vor echt­en und falschen falschen Fre­un­den haben müssen, son­dern uns auch jede Möglichkeit genom­men wird, die fremde Sprache kreativ zu ver­wen­den. Sprach­spiele, Wortwitz, rhetorische Höhen­flüge und poet­is­che Anwand­lun­gen — alles, was von der Norm abwe­icht, wird uns sofort als Unfähigkeit ausgelegt.

P.S.. Übri­gens, falls Studierende der ange­wandten Sprach­wis­senschaft, der Sprach­lehr- und ‑lern­forschung oder der Fremd­sprachen­di­dak­tik dies lesen und noch kein The­ma für ihre Exa­m­en­sar­beit gefun­den haben: Soweit ich weiß, sind falsche falsche Fre­unde bis­lang in der Fremd­sprachen­di­dak­tik noch nicht erforscht wor­den. Auch zum kreativ­en Gebrauch von Fremd­sprachen gibt es noch Einiges zu erforschen: es gibt Arbeit­en, die sich mit der Frage beschäfti­gen, ob Sprach­spiele in der Fremd­sprache zum Lern­er­folg beitra­gen kön­nen (z.B. Tarone 2000, Bell 2005) und Arbeit­en, die erforschen, inwieweit Sprach­spiele als Zeichen ein­er fort­geschrit­te­nen fremd­sprach­lichen Kom­pe­tenz aufge­fasst wer­den können/sollten (z.B. Belz 2002a, 2002b), aber mir fall­en im Moment keine Stu­di­en ein, die sys­tem­a­tisch erforscht hät­ten, wie Mut­ter­sprach­ler (oder andere Nicht-Mut­ter­sprach­ler) auf solche Sprach­spiele reagieren. Ich nehme an, dass die Reak­tio­nen eher neg­a­tiv sein wer­den, da in der Zweit­spracher­werb­s­forschung recht gut doku­men­tiert ist, dass die „kom­mu­nika­tive Last“ fast voll­ständig auf den Schul­tern des Nicht-Mut­ter­sprach­lers lastet, dass dieser also allein für den kom­mu­nika­tiv­en Erfolg ein­er sprach­lichen Inter­ak­tion ver­ant­wortlich gemacht wird (eine Zusam­men­fas­sung bietet Rajadu­rai 2007). Sprach­spiel erfordert aber die Koop­er­a­tion des Gesprächspartners.

BELL, Nan­cy D. (2005). Explor­ing L2 lan­guage play as an aid to SLL: A case study of humour in NSNNS inter­ac­tion. Applied Lin­guis­tics 26(2), 192–218.

BELZ, Julie A. (2002a). The myth of the defi­cient com­mu­ni­ca­tor. Lan­guage Teach­ing Research 6(1), 59–82.

BELZ, Julie A. (2002b). Sec­ond lan­guage play as a rep­re­sen­ta­tion of the mul­ti­com­pe­tent self in for­eign lan­guage study. Jour­nal of Lan­guage, Iden­ti­ty & Edu­ca­tion 1(1), 13–39.

RAJADURAI, Joanne. (2007). Intel­li­gi­bil­i­ty stud­ies: a con­sid­er­a­tion of empir­i­cal and ide­o­log­i­cal issues. World Eng­lish­es 26(1), 87–98. [HTML]

TARONE, Elaine (2000). Get­ting seri­ous about lan­guage play: Lan­guage play, inter­lan­guage vari­a­tion and sec­ond lan­guage acqui­si­tion. In: B. Swerzbin, F. Mor­ris, M. Ander­son, C. Klee und E. Tarone (Hg.), Social and Cog­ni­tive Fac­tors in SLA: Pro­ceed­ings of the 1999 Sec­ond Lan­guage Research Forum. Somerville, MA: Cas­cadil­la Press, 31–54.

Ein Gedanke zu „Falsche falsche Freunde

  1. Frank Oswalt

    Mar­shall McLuhans tief­sin­nige Ein­sicht „We become what we behold“ wird durch die falschen Fre­unde etwas triv­ial: „Wir bekom­men, was wir behalten“…

    Antworten

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