Ein Leser hat vor einigen Tagen den Artikel zu den Eskimowörtern für Schnee mit einer interessanten Anmerkung kommentiert. Jens bemerkt:
Den Eskimoschnee hat nebenbei an manchen Stellen der ostasiatische Reis (als Pflanze, geschält, gekocht, …) abgelöst — und bei teils isolierenden Sprachen trifft’s dann ja noch eher zu.
Damit die Diskussion nicht untergeht, mache ich sie lieber zum Thema eines eigenen Postings.
Zunächst einmal war mir die potenzielle Vielfalt von Reiswörtern nicht bekannt. Eine kurze Google-Suche brachte dann aber eine so große Zahl von Treffern, dass meine Ignoranz mich selbst erstaunt.
Nun fallen viele dieser Treffer eindeutig in das Reich der Fabel:
But Khmer is precise in ways that English isn’t. Like many languages, it has many words for articles which are useful for Cambodian people, for example there are over one hundred words for rice!!
Praktischerweise wird das manchmal deutlich signalisiert, in dem die Reiswörter direkt mit den Schneewörtern verglichen werden:
Eskimos have dozens of terms for snow just as farmers in Southeast Asia have two hundred words for rice.
Hundert? Zweihundert? Niemals. Gibt es nicht. Was sollte das auch bringen? Klugerweise nennt der Verfasser der zweiten Zahl gar nicht erst eine bestimmte Sprache, anhand derer man die Behauptung überprüfen könnte.
Es finden sich aber auch viele Treffer, die wesentlich plausibler klingen. Für das Indonesische/Balinesische beispielsweise liegen die Gebote zwischen drei und acht, und da die Bietenden die Wörter sogar auflisten, wirken diese Behauptungen recht seriös.
Zunächst scheinen verschiedene Stadien der Zubereitung unterschieden zu werden:
- padi „noch nicht verarbeiteter Reis“
- gabah „von den Stängeln entfernter, aber nicht geschälter Reis“
- beras „geschälter, aber ungekochter Reis“
- nasi „gekochter Reis“
Auf einer anderen Seite fand ich das Wort jijih für „geernteten Reis“. Ob das eine dialektale Variante von gabah ist oder ob es ein zusätzliches Stadium zwischen padi und gabah bezeichnet, kann ich nicht sagen.
Hinzu kommen Wörter für verschiedene Reissorten:
- barak „roter Reis“
- injin „schwarzer Reis“
- ketan „weißer Reis“
Ich weiß nicht, ob diese Wörter und Definitionen stimmen (ich muss mich da auf das Internet verlassen, bekanntlich eine riskante Strategie). Aber wenn sie stimmen, zeigen sie sehr schön, was Jens mit „isolierenden“ Sprachen meint: die Mehrzahl der asiatischen Sprachen hat sehr wenig bis gar keine Morphologie (diese Sprachen sind also das Gegenteil der polysynthetischen Eskimosprachen). Dies führt dazu, dass bedeutungsverwandte Wörter im Normalfall keinerlei formale Ähnlichkeit haben, also nicht voneinander abgeleitet sind. Es gäbe hier also keine Diskussion darum, ob das alles wirklich unterschiedliche Wörter sind.
Das Indonesische ist natürlich nicht die einzige Sprache, der ein großes Reisvokabular nachgesagt wird. Für das Japanische gab es beispielsweise Gebote zwischen zwei (okome „ungekocht“ und gohan „gekocht“) und acht (ohne Beispiele) und für das Chinesische zwischen zwei (mi „ungekocht“ und fan „gekocht“) und vierzehn (ohne Beispiele).
Wenn der eine oder die andere Leser/in aus erster Hand über eine asiatische Sprache und deren Reisvokabular Bescheid weiß, würde ich mich über Rückmeldungen freuen. Vielleicht gelingt es uns ja, den falschen Schneemythos mit einer fundierten Reisgeschichte zu ersetzen. Noch schöner wäre es natürlich, eine Geschichte zu finden, die weniger stereotyp ist als Eskimos/Schnee oder Asiaten/Reis.
Weniger stereotyp – das dürfte sich doch in fast allen Sprachen finden, die man miteinander vergleicht. Kein Vokabular ist gleich spezialisiert, man braucht immer irgendwann mehrere Wörter, um ein einzelnes aus einer anderen Sprache zu übersetzen.
Gerade die „typischen“ Fälle sind am anschaulichsten, sowas klar zu machen, wobei natürlich nicht der Eindruck erweckt werden darf, daß die Beziehungen nur bei den typischen Wörtern so sind.
Aber nun ein anderes Beispiel, weniger typisch: Gruppenbezeichnungen für Tiere. Auf Deutsch fallen mir spontan Rudel, Herde, Schar und Schwarm ein, eine kurze Recherche ergibt außerdem Rotte, Sprung und Schule. Man zählt also, selbst wenn man die Fachbegriffe wegläßt, mindestens vier unterschiedliche Bezeichnungen, die sich unter dem Oberbegriff Gruppe finden lassen und (meiner Einschätzung nach) auch alle üblich sind.
Guckt man im Finnischen nach, finden sich gerade zwei Wörter: parvi für Luft‑, Wassertiere und Insekten (also ziemlich genau der ‘Schwarm’) und lauma für alle anderen Landtiere. Zusammenfassen lassen sie sich unter dem Oberbegriff joukko ‘Menge, Gruppe’.
Nur – wer merkt sich sowas? Für den Laien reicht ja der falsche Eskimoschnee oder der (vermutlich) richtige Ostasienreis, um das Übersetzerproblem zu verstehen.
Leider oft auch, um ihn die Sapir-Whorf-Hypothese als bedeutende Strömung im Sprachwandel wahrnehmen zu lassen …
Die kurze Nachfrage bei einer Japanerin hat neben kome für Reis im allgemeinen und gohan für gekochten Reis noch meshi zur Liste hinzugefügt. Diesen Begriff benutzen laut Ihrer Aussage nur Männer, wenn sie sich über Reis (genauer gesagt über gohan) unterhalten. Frauen oder Kinder sagen nicht meshi.
noch ein paar tiergruppenbezeichnungen gefällig?
hier: http://www.npwrc.usgs.gov/about/faqs/animals/names.htm
🙂
Jens, auf die Whorfschen Implikationen müssen wir noch einmal genauer eingehen, aber erstmal besten Dank für den Hinweis auf die Tiergruppen.
Viola, wow! Wenn ich richtig gezählt habe, sind das um die 140 verschiedene Bezeichnungen. Wir können also die Druckerpressen starten, etwa so: „Amerikaner haben 150 Wörter für Tiergruppen! Erste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Tiere in der amerikanischen Kultur eine zentrale Rolle spielen.“
😀
oha, ob in den nächsten 100 jahren jetzt eine wortschwemme für ’sonnenbrand’ droht? 🙂
language log: “Eskimo Words for Sunburn”
liest hier jemand mit, der ungarisch kann und sich mit pferden auskennt?
grad entdeckt:
“Le hongrois […] dispose […] de plus de deux cents termes pour définir la race et la couleur d’un cheval.”
- “Das Ungarische verfügt über mehr als 200 Wörter zur Bezeichnung der Rasse und der Farbe eines Pferdes.”
In: Moore, Christopher (2006): Les plus jolis mots du monde. Paris: Michel. S. 45. [Original ersch. 2004 u.d.T. “In other words. A language lover’s guide to the most intriguing words around the world”. London: Elwin Street.]
[Anmerkung des IAAS-Administratorenteams: Siehe den Beitrag Zweihundert Wörter für „Pferd“?, der auf diesen Kommentar näher eingeht]
Wie wäre es denn mit den diversen deutschen Worten für Bier: Pils, Export, Weizen, Helles Weizen, Kräusen, Dunkel, …aber da wirds dann schon wieder stereotypisch.