„Liebe: Auch so ein Problem, das Marx nicht gelöst hat“ — so hat es angeblich der französische Dramatiker Jean Anouilh ausgedrückt. Und Recht hat er: wer kann von sich behaupten, das Geheimnis der zwischenmenschlichen Anziehung zu verstehen? Nun, wie heißt es so schön: „Amerikanische Wissenschaftler haben herausgefunden…“. Die Berliner Zeitung berichtete diese Woche von einem entscheidenden Durchbruch, den Amy Perfors, eine junge Sprachwissenschaftlerin vom Massachussets Institute of Technology, erzielt haben soll. Auf einer amerikanischen Dating-Webseite ließ sie Fotos von Männern und Frauen bewerten, wobei sie dasselbe Foto jeweils mehrfach mit unterschiedlichen Vornamen versehen verwendete. Und siehe da:
Frauen stehen bei Männernamen auf helle Vorderzungen-Vokale wie ei, e und i. Auf dem hinteren Teil der Zunge gesprochene Laute wie u und a empfinden sie als weniger attraktiv. Also ist Bernd verführerischer als Hugo, Kevin anziehender als Ole. … Bei Frauennamen läuft es genau umgekehrt. Männer finden Namen mit der Betonung auf runden Vokalen wie o oder u anziehend. Das ist gut für Mona, Laura und Uta — schlecht für alle Birgits, Maikes und Katrins.
Ähnliche Berichte auf T‑Online und 20 Minuten, im Express und in der Kronenzeitung ergänzen die bunte Liste von Namen — Männer mit Vornamen wie Friedrich, Siegfried, Heiner, Willi oder Tim kommen bei den Frauen gut an, während Thomas, Wolfgang, Paul und Otto chancenlos sind. Männer ihrerseits stehen angeblich auf Frauen, die Olga, Lola oder Vanessa heißen, während Hilde, Stephie, Lilly und Mirjam lieber gleich zu Hause bleiben sollten. „Das ist kein verrücktes Namensquiz“, jubelt die BZ, „sondern Wissenschaft“.
Nein. Das ist schlechter Journalismus.
Zunächst einmal ist die „Entdeckung“, über die hier berichtet wird, bereits mehr als zwei Jahre alt und seinerzeit auch ausführlich in der Presse diskutiert worden. Seitdem geistert sie als urbaner Mythos duch die Blogosphäre, und da hat sie vermutlich der BZ-Reporter gefunden. Aber wir wollen mal nicht so streng sein — schließlich hat die ehrwürdige Süddeutsche Zeitung letzten Monat Ergebnisse als Neuigkeit verkauft, die volle zwanzig Jahre alt sind.
Aber schon nebensächliche Details machen deutlich, dass unsere publizistische Elite die Originalstudie gar nicht gelesen hat, obwohl die mit zwei Mausklicks auf der Webseite der Autorin zu finden gewesen wäre. So wird beispielsweise behauptet, dass Perfors „Model-Fotos“ (BZ, Express, 20 Minuten) oder „Fotos von attraktiven Männern und Frauen“ (Kronenzeitung) ins Netz gestellt habe — tatsächlich waren es Fotos von Freunden und Bekannten, und ob die attraktiv waren oder nicht, darüber schweigt Perfors wohlweislich.
Viel schlimmer ist, dass die Berichte aus wissenschaftlicher Sicht jeder Grundlage entbehren.
Erstens: Die der bunte Kessel beliebter und unbeliebter Vornamen entspringt nur den Phantasie der Journalisten. Die Studie ist mit englischen Vornamen und englischen Muttersprachlern durchgeführt worden. Es gibt nicht den geringsten Grund anzunehmen, dass sich die Ergebnisse auf den deutschen Sprachraum übertragen lassen. Solange das niemand untersucht hat, sollte man also davon ausgehen, dass dies nicht der Fall ist. Es ist nicht einmal klar, ob die Ergebnisse sich auf alle englischen Vornamen übertragen lassen, da Perfors natürlich nur eine begrenzte Anzahl von Namen getestet hat. Welche das im Einzelnen waren, sagt sie übrigens nirgends, sie gibt lediglich ein paar Beispiele.
Zweitens: Selbst wenn sich die Ergebnisse übertragen ließen, müsste man bei der Charakterisierung der „beliebten“ und „unbeliebten“ Vokale genauer sein. Die aktuellen Berichte werfen eine Reihe von Begriffen durcheinander: mal ist von „hellen“ und „dunklen“ Vokalen die Rede, mal von „runden“, mal von „vorderen“ und „hinteren“. Perfors untersuchte in ihrer Studie die letztgenannte Unterscheidung. Vordere Vokale im Deutschen sind die in den folgenden Wörtern (wer unser Februar-Quiz gemacht hat, kennt sie schon): Wall, bäten, beten, betten, Stiel, still, Höhle, Hölle, Hüte und Hütte. Hintere Vokale sind die in Polen, Pollen, Fusel und Fussel. Der Vokal in Wal und die unbetonten Vokale in Fahne und Fenster sind zentrale Vokale, und damit vermutlich attraktivitätsneutral. Die BZ sagt also ganz richtig, dass E, I und EI „beliebt“ bei Männern und „unbeliebt“ bei Frauen sind, und dass es bei O und U umgekehrt ist. Fälschlicherweise zählt sie auch A zu den hinteren Vokalen. Das ist ein unverzeihlicher Fehler: das „kurze“ A in — Achung: zufällig gewähltes Beispiel — Anatol ist ein sexy vorderer Vokal! Besonders verwirrt ist die Kronenzeitung, die den Namen Robbie als attraktiven Männernamen bezeichnet und das mit einem Foto von Robbie Williams belegt. Vielleicht hat sie sich dabei vom IE am Wortende in die Irre leiten lassen, aber was in Perfors’ Studie zählt, ist der betonte Vokal, und das ist bei Robbie das O und damit eindeutig einer der unattraktiven hinteren Vokale.
Drittens: Die Zeitungen tun allesamt so, als ginge es darum, welche weiblichen Vornamen attraktiv auf Männer wirken und umgekehrt. Das ist jedoch nicht der Fall. Die Versuchspersonen waren nämlich nicht repräsentativ ausgewählt, es waren zufällige Besucher der Webseite Hotornot.com. Somit lässt sich schlicht nichts darüber sagen, ob die Frauen tatsächlich von Männern bewertet wurden und umgekehrt. Nichts an der Webseite ist darauf ausgerichtet, die Nutzer dazu zu ermutigen, sich auf das jeweils andere Geschlecht zu beschränken. Es ist nicht einmal klar, wieviele Besucher der Seite Frauen und wieveile Männer sind.
Perfors selbst war übrigens seinerzeit extrem vorsichtig in ihrer Interpretation der Daten. So weist sie unter anderem darauf hin, dass der Unterschied in der Bewertung extrem klein war — weniger als ein halber Punkt auf einer Zehnerskala. Dieser Unterschied war zwar statistisch signifikant, aber das auch nur, weil sie eine extrem große Menge an Daten gesammelt hat. Eigentlich denkt man natürlich, dass viele Daten besser sind als wenig Daten. Statistik ist aber eine trügerische Sache — je größer die Datenmenge ist, desto eher werden selbst minimale Abweichungen von der Zufallsverteilung als statistisch signifikant gewertet.
Ich verstehe ja das begeisterte Rauschen im Boulevardblätterwald. Mit meinem Namen wäre es mir selbst nur recht, wenn an den Ergebnissen von Perfors etwas dran wäre. Aber bei genauerem Hinsehen bleibt von der Begeisterung eben nicht viel übrig.
Und die Moral? Glauben Sie nichts, was in der Zeitung steht.
Ein interessanter Beitrag. Wenn an der Sache etwas dran wäre, wäre mein Name also sexy (das a wird ja wie in Wall gesprochen)?
Den letzten Satz finde ich aber schon etwas hart. Das sind eben alles Boulevardblätter, da können Sie doch keine wissenschaftliche Qualität verlangen.
Frank, zunächst: ja, Sie haben Glück. Ihr Name hat tatsächlich einen der begehrten vordern Vokale (noch weiter nach vorne rutscht er, wenn man den Namen Englisch ausspricht). Da ich nicht weiß, ob ihr Name auf der Liste der getesteten Namen war, sollten Sie sich aber, wie gesagt, nicht zu früh freuen. Und Sie müssten eben sowieso in den englischen Sprachraum reisen um zu profitieren. Und dann hätten Sie auch nur einen halben Punkt vorsprung vor einem Tom oder einem George…
Ob ich zu hart war, kann ich nicht sagen. Einerseits haben Sie Recht, das sind Boulevardblätter, andererseits entbindet das ja nicht von jedweder Verantwortung. Das ganze wurde ja nicht als Klatsch präsentiert, sondern als Wissenschaft. Damit sorgen die Blätter zum einen dafür, dass sich falsche Informationen in den Köpfen der Leser festsetzen, zum anderen tragen sie dazu bei, dass ganz allgemein der Eindruck entsteht, Wissenschaft sei etwas triviales und völlig beliebiges. Beides ärgert mich. Einen ähnlich oberflächlichen Umgang mit Wissenschaftsgeschichten findet man übrigens auch in seriöseren Zeitschriften (googeln Sie einmal nach dem Namen „Amy Perfors“, da finden Sie hochangesehene Blätter, die den selben Unfug berichten). Ich habe bei allen möglichen Geschichten zu allen möglichen Themen immer wieder festgestellt, dass Zeitungsberichte sich als völlig falsch oder wenigstens stark verzerrt herausstellen, wenn man ein wenig Hintergrundrecherche betreibt. Und da man nicht weiß, wo jemand sauber recherchiert hat und wo nicht, denke ich eben, dass man Zeitungen am besten gar nichts glaubt.
Die Kronen Zeitung ist älter als die deutsche Rechtschreibung und schreibt sich — vielleicht deswegen — mit einem unsinnigen Abstand in der Mitte.
Die Kronen Zeitung ist älter als die deutsche Rechtschreibung und schreibt sich — vielleicht deswegen — mit einem unsinnigen Abstand in der Mitte.
Sie scheint mir vor allem viel unsinnigen Inhalt in der Mitte (zwischen der ersten und letzten Seite) zu schreiben… Ihr Hinweis ist trotzdem dankend zur Kenntnis genommen, ich werde ihn beherzigen, wenn ich die Kronen Zeitung das nächste Mal zitiere.
Soso, Anatol ist also ein zufällig gewähltes Beispiel. Das glaube ich Ihnen nicht — nicht umsonst stehe ich mit meinem Vornamen auf der Seite der Unbefriedigten und damit der Neider.