Come on, baby, light my fire

Von Anatol Stefanowitsch

Passend zum gestri­gen „Tag der Mut­ter­sprache“ berichtete in den let­zten Tagen eine Rei­he von britis­chen Tageszeitun­gen von Bemühun­gen, einen schot­tis­chen Dialekt zu doku­men­tieren, solange die let­zten bei­den Sprech­er noch am Leben sind. Die Brüder Bob­by und Gor­don Hogg (87 und 82 Jahre alt) sind laut diesen Mel­dun­gen die let­zten Sprech­er des Cro­mar­ty-Dialek­ts, den die britis­che Presse heute als „Cro­mar­ty Fish­er Dialect“ beze­ich­net, ver­mut­lich, weil die Sprech­er tra­di­tionell Fis­ch­er waren.

Ich freue mich natür­lich über die Ret­tungsver­suche und über die Tat­sache, dass die britis­che Presse so aus­führlich berichtet, die zeigt, dass in Großbri­tan­nien ein öffentlich­es Inter­esse an Dialek­ten beste­ht (die bei­den Brüder wirken allerd­ings auch äußerst liebenswert, das hil­ft sich­er). Die Mel­dun­gen enthal­ten aber auch eine Rei­he von Unge­nauigkeit­en und Missver­ständ­nis­sen, die wir hier für unsere inter­ssierten Leser natür­lich aufk­lären müssen.

So behauptet der Tele­graph, der Cro­mar­ty-Dialekt sei ent­standen, als (gälis­chsprechende) Fis­ch­er in Cro­mar­ty im 17. und 18. Jahrhun­dert „von englis­chen Sol­dat­en Wörter aufgeschnappt“ hätten:

It evolved when local fish­er­men in the town of Cro­mar­ty, on the Black Isle north of Inver­ness, picked up words from Eng­lish sol­diers based in the area in the 17th and 18th centuries.

Ich kenne mich mit diesem Dialekt nicht beson­ders gut aus (um ehrlich zu sein, habe ich heute mor­gen zum ersten Mal davon gehört), aber diese Behaup­tung ist abso­lut unwahrschein­lich, wenn man sich ein­mal eine Textprobe ansieht (aus einem Gedicht, das 1912–1913 in der Zeitschrift The Celtic Review abge­druckt wurde und in dem der Erzäh­ler berichtet, wie seine Groß­mut­ter ihm einen Kuchen bäckt):

She’ll say– ‘So tak’ the pailie doon

And get a Stroop­ie drink for grannie;

Ye’ll mind and row’ yer han­kie roon’

The han’lie or ’t ’ill hurt yer han’ie–

In comes the weaver’s wife to crack,

Wi’– ‘Bless yer hert an’ hoo’s yer body?’ …

I ken my cakie’s toastin’ fine,

As I go up the Stroop­ie roadie.

Selb­st wenn man nicht jedes Wort auf Anhieb ver­ste­ht — es dürfte klar sein, dass wir es hier keineswegs mit einem gälis­chen Dialekt zu tun haben, der ein paar englis­che Lehn­wörter enthält (wie würde der VDS einen solchen Dialekt nen­nen? Gänglisch? Engälisch?), son­dern mit waschechtem Englisch, das lediglich in Wortschatz und Aussprache einige typ­isch schot­tis­che Eigen­heit­en aufweist.

Hier ist eine Über­set­zung in das „Stan­dard Eng­lish“, das wir alle aus der Schule kennen:

She will say: ‘So take the buck­et down

And get a drink from the well for grandmother;

You will remem­ber to tie your han­ker­chief around

The han­dle or it will hurt your hand.’

In comes the weaver’s wife to chat,

With: ‘Bless your heart and how is your body?’ …

I know my cake is bak­ing well,

As I go up the road to the well.

Die Unter­schiede sind also: pail statt buck­et für „Eimer“, stroop statt well für „Brun­nen“, mind statt remem­ber für „daran denken“, rowe statt tie für „wick­eln, knoten“, crack statt chat für „plaud­ern“, ken statt know für „wis­sen“ und toast statt bake für „back­en“. Auf­fäl­lig sind die Verkleinerungs­for­men (pailie, stroop­ie, grannie, han­kie, han’lie, han’ie, cakie und road­ie). Davon abge­se­hen gibt es ein paar Aussprache­un­ter­schiede, die der Autor ver­sucht hat, orthographisch darzustellen (doon statt down, yer statt your, usw.). Alle diese Merk­male find­en sich ganz all­ge­mein in schot­tis­chen Dialek­ten. Nun kann es ja sein, dass der Dichter sich hier bewusst oder unbe­wusst am britis­chen Englisch ori­en­tiert und den Dialekt damit verz­er­rt dargestellt hat. Das scheint aber nicht der Fall zu sein. Der Tele­graph nen­nt eine Rei­he von Sätzen aus der aktuellen all­t­agssprach­lichen Ver­wen­dung des Dialek­ts (ich zeige sie hier mit den Über­set­zun­gen, die der Tele­graph angibt):

  1. Thee’re no talkin’ licht (‘You are quite right’)
  2. Ut aboot a wee sup­pie for me (‘Can I have a drink too?’)
  3. Thee nay’te big fiya sclaafert yet me boy (‘You are not too big for a slap, my boy’)
  4. Pit oot thy fire til I light mine (‘Please be qui­et, and allow me to say something’)

Diese Beispiele zeigen eine weit­ere Eigen­schaft des Cro­mar­ty-Dialek­ts, die im Gedicht nicht vorkommt: die Ver­wen­dung der his­torisch älteren Anre­de­for­men thee und thy anstelle von you und your. Davon abge­se­hen wird klar, dass es sich auch hier ein­deutig um Englisch han­delt, vor allem, wenn man Über­set­zun­gen wählt, die näher an den Beispie­len bleiben:

  1. You are not talk­ing light­ly, also etwa „Du redest nicht leichthin daher.“
  2. What about a small sip for me, also etwa „Wie wäre es mit einem kleinen Schluck für mich?“
  3. Hier ist die Über­set­zung bere­its nahe am Orig­i­nal, die Ver­schriftlichung scheint hier aber über­mäßig fremdel­nd zu sein. Die nahe Ver­wand­schaft zum britis­chen Englisch wird deut­lich, wenn man die Schreib­weise min­i­mal ändert: Thee nay te big fi a sclaafert yet, me boy.
  4. Put out your fire until I light mine, also „Lösche dein Feuer bis ich meins angezün­det habe“; hier han­delt es sich offen­sichtlich um eine Redewen­dung (ein inter­es­santes Gegestück zum deutschen „Du redest wie ein Wasserfall“).

Man bekommt den Ein­druck, dass der Tele­graph hier den Cro­mar­ty-Dialekt bewusst frem­dar­tig erscheinen lassen wollte. Tat­säch­lich ist aber deut­lich, dass dieser Dialekt wesentlich näher am britis­chen Englisch ist, als etwa das Bairische am Hochdeutschen. Kein Gänglisch also, son­dern ein­fach nur ein Dialekt des Englis­chen (mit dieser Mei­n­ung bin ich nicht allein: wie der Her­ald berichtet, glaubt Robert McColl Mil­lar, Experte für schot­tis­che Dialek­te, eben­falls nicht an die The­o­rie mit den englis­chen Soldaten).

Der Inver­ness Couri­er inter­pretiert die Ver­wen­dung der eben erwäh­n­ten älteren Anre­de­for­men als Beleg dafür, dass dieser Dialekt sehr „formell“ sei:

It was extreme­ly for­mal, with words like “thee”, “thou” and “thine” used fre­quent­ly, and was spo­ken so quick­ly that out­siders found it impos­si­ble to understand.

Das ist natür­lich Unfug. Diese For­men sind keineswegs formell, schon gar nicht im Cro­mar­ty-Dialekt. Im Gegen­teil: es han­delt sich hier um Überbleib­sel des ursprünglichen Pronom­i­nal­sys­tems des Englis­chen, in dem die For­men thou, thee, und thine etwa dem deutschen du, dir und dein(e) entsprachen. Die Form you, die heute die einzige Anre­de­form des Englis­chen ist, war damals auss­chließlich der Mehrzahl vor­be­hal­ten. Sie wurde Einzelper­so­n­en gegenüber nur ver­wen­det, um extreme Höflichkeit auszu­drück­en (genau wie das Deutsche ihr in Sätzen wie „Wie ihr befehlt, Majestät“). Diese formellere, höflichere Form set­zte sich in der Stan­dard­sprache auf bre­it­er Ebene durch, viele Dialek­te behiel­ten aber das informellere thou. Dem Jour­nal­is­ten des Inver­ness Couri­er kommt diese Form nur deshalb formell vor, weil sie in seinem Dialekt nicht mehr existiert und er sie deshalb als alt­modisch empfind­et. Das ange­bliche „schnelle Sprechen“ des Dialek­ts kön­nte auch auf die Außen­wahrnehmung zurück­zuführen sein: Sprachen, die man nicht bzw. nur teil­weise beherrscht, kom­men einem häu­fig schnell vor.

Der Tele­graph macht den Fehler mit den „for­malen“ Wörtern auch, und fügt noch ein weit­eres Missver­ständ­nis hinzu:

The fish­er­men adopt­ed for­mal words such as thee, thou and thine, but also mis­pro­nun­ci­a­tions, sub­sti­tut­ing “erring” for “her­ring” and “hears” for “ears”.

Das sind natür­lich keine „fehler­haften Aussprachen“ (mis­pro­nun­ci­a­tions), son­dern dialek­tale Vari­anten. Inter­es­san­ter­weise find­et sich die Aus­las­sung von [h] an Wor­tan­fän­gen nicht All­ge­mein im schot­tis­chen Englisch, es kön­nte also tat­säch­lich ein leichter Ein­fluss britis­ch­er Sol­dat­en vor­liegen, beispiel­sweise, wenn diese Cock­ney-Sprech­er waren. Ander­er­seits ist dieser phonetis­che Prozess auch nicht so ungewöhn­lich, dass er nicht unab­hängig ent­standen sein kön­nte (die Fran­zosen machen es ja genau­so, und die haben es sich ganz sich­er nicht von britis­chen Sol­dat­en abgeguckt).

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Über Anatol Stefanowitsch

Anatol Stefanowitsch ist Professor für die Struktur des heutigen Englisch an der Freien Universität Berlin. Er beschäftigt sich derzeit mit diskriminierender Sprache, Sprachpolitik und dem politischen Gebrauch und Missbrauch von Sprache. Sein aktuelles Buch „Eine Frage der Moral: Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen“ ist 2018 im Dudenverlag erschienen.

Ein Gedanke zu „Come on, baby, light my fire

  1. blaabaer

    Die Aus­las­sung von anlau­t­en­dem [h] find­et sich im Norn der Shet­landin­seln — wenn auch nicht durchgängig und zum Teil sog­ar durch Hyper­ko­r­rek­tur das ganze Gegen­teil. Vielle­icht kommt der Ein­fluss auch von dort?

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