Kürzlich habe ich Jack Vances Das Weltraummonopol gelesen (2002, Bastei Lübbe; orig. The Five Gold Bands, 1950). In diesem ansonsten für Vance eher enttäuschenden Buch erregte folgender Satz meine Aufmerksamkeit. Die Hauptfigur, Paddy Blackthorn, spricht über eine außerirdische Spezies, die Adler genannt wird, und sagt unter anderem:
Die Adler hier — ihre Neugier ist unstillbar, und sie sind von Natur aus so hartnäckig, dass es in ihrer Sprache kein Wort für diese Eigenschaft gibt.
Vor dem Hintergrund unserer Eskimowörter-für-Schnee-Debatte ist das ein interessanter Gedanke. Hinter dem Schneemythos steckt ja die Annahme, dass eine Sprachgemeinschaft für kulturell wichtige Dinge besonders viele Wörter haben muss. Jack Vance weist hier darauf hin, dass es auch umgekehrt geht: eine Sache kann in einer Kultur so selbstverständlich sein, dass man überhaupt nicht darüber reden muss.
Das gibt es auch im wirklichen Leben: Der Judaist Günter Stemberger weist darauf hin, dass die hebräische Sprache kein Wort für “Religion” kennt (das heute verwendete “dat” ist persischen Ursprungs und bedeutet eigentlich “Gesetz”), weil im Judentum das ganze Leben religiös ist. “Im jüdischen Leben ist nichts wirklich profan.” – Wozu brauchte man, jedenfalls in alter Zeit, dann ein Wort für Religion?
MK, danke für dieses interessante Beispiel! Ich würde natürlich gerne noch wissen, ob es im Hebräischen vor der Entlehnung des Wortes dat tatsächlich kein Wort gab, mit dem man das Konzept des Religiösen bezeichnen konnte — aus der Tatsache, dass heute ein Lehnwort verwendet wird, lässt sich das ja noch nicht ohne Weiteres folgern.
Hallo Herr Stefanowitsch,
auch ich (wenn ich Ihre Einschätzung richtig extrahiere) bin ein großer Vance-Fan und teile Ihre Einschätzung des Romans.
Später ist es bei Vance wirklich sehr viel deutlicher hervorgetreten, dass sein umfassendes Interesse an dem, was in Menschen alles drin steckt, alle Aspekte einschließt: Religion, Philosophie, Kultur, Essen, Trinken, Gefühle und immer wieder auch Sprache. Kennen Sie “Die Kriegssprachen von Pao”? Da steht die (gezielte) Veränderung von Menschen durch Sprache sogar im Vordergrund — obwohl auch das nicht sein stärkstes Werk ist.
Ich finde, vom Ideenreichtum und stilistisch sind die “Die sterbende Erde”-Romane der Höhepunkt. Und, er lebt und schreibt ja noch, auch seine letzten zwei finde ich bemerkenswert.
Hallo Herr Hömig-Groß,
ja, Kriegssprachen/The Languages of Pao ist zwar bei Weitem nicht Vances stärkstes Werk, aber doch eine interessante Auseinandersetzung mit der Idee, dass die Sprache, die wir sprechen, unser Denken beeinflusst. Ich empfehle es deshalb allen Interessierten ausdrücklich! Sowohl die englische als auch die deutsche Ausgabe sind derzeit leider wieder einmal vergriffen, aber über Amazon findet man eine Reihe von gebrauchten Angeboten (Orion Books wird wohl 2010 eine Neuauflage in der hervorragenden Gollancz-SF-Reihe herausbringen). Ausführlichere und radikalere Auseinandersetzungen mit dem Thema „Sprache und Denken“ finden sich in Ian Watsons The Embedding (immer mal wieder von Gollancz SF erhältlich) und natürlich dem Klassiker, Samuel Delanys Babel 17 (immer in mehreren Ausgaben erhältlich).
Besten Dank für die Tipps, kannte ich beides nicht. Sind schon bestellt …