Der Tagesspiegel hat diese Woche mit Noam Chomsky — dem Sigmund Freud der modernen Sprachwissenschaft und einem scharfsinnigen Kritiker der Reichen und Mächtigen — gesprochen. Über Sprachwissenschaft redet Chomsky dort nicht viel, sie hat ihn in den letzten Jahren auch nicht mehr sehr intensiv beschäftigt. Auf die Frage „Hat Ihre wissenschaftliche Arbeit unter Ihrem politischen Engagement gelitten?“ antwortet er: „Ja, sehr. Ich habe sehr viel Zeit mit politischer Arbeit verbracht.“ Für mich eine einleuchtende Erklärung für den etwas lieblosen Eindruck, den seine sprachwissenschaftlichen Theorien auf mich machen. Umso scharfsinniger spricht er über Macht und Manipulation in Amerika. Nur die Abneigung gegen französische Intelektuelle teilt er mit seinen konservativen Landsleuten. Allesamt mediengeile Blender und können tun sie auch nichts. Tagesspiegel: „Sie kritisieren aber nicht nur deren Auftreten, sondern auch deren Arbeit. Sie sagen, Sie verständen bei Derrida, Althusser und Lacan kein Wort“. Darauf Chomsky: „Das ist keine Kritik, das ist eine Tatsache. … Zehn Prozent bei denen sind Binsenwahrheiten, den Rest verstehe ich nicht.“ Moi non plus, Monsieur Chomsky, moi non plus.
Der Bezirksausschuss Maxvorstadt in München hat ein sprachwissenschaftliches Problem, wie der Wochenanzeiger berichtet. Die Münchner Verkehrsgesellschaft will eine neu eingerichtete Busverbindung zwischen Hauptbahnhof und Museumsviertel auf den Namen „Museenlinie“ taufen. Dieses Wort will dem Bezirksausschussvorsitzenden Klaus Bäumler nicht so recht über die Zunge rollen. Er hat sich deshalb mit nicht näher genannten Germanisten zusammengesetzt, um nach einer Lösung zu suchen. Der Alternativvorschlag lautet „Musemumslinie“:
Denn bei diesem Begriff, erklärt Bäumler, handle es sich um ein so genanntes Kollektivum — um einen Begriff also, der im Singular steht und doch den Plural meint.
Ein großes Lob an Bäumler dafür, dass er bei einem sprachlichen Problem tatsächlich Sprachwissenschaftler konsultiert hat. Aber einen ebensogroßen Tadel dafür, dass er relativ beliebig mit linguistischer Fachterminologie um sich wirft. Denn es ist richtig, dass das erste Glied eines zusammengesetzten Substantivs typischerweise sowohl eins als auch mehrere Exemplare des Bezeichneten meinen kann. Das liegt aber daran, dass es generisch, d.h. auf eine Kategorie bezogen, interprert wird. Eine Museumslinie ist also eine Linie, die etwas mit der Kategorie „Museum“ zu tun hat. Dass es sich dabei im Münchner Fall um mehrere Museen handelt, kann man durch die Verwendung des Plurals deutlich machen, aber man muss es nicht. Ein Kollektivum dagegen ist, wie im obigen Zitat ganz richtig dargestellt, ein Substantiv im Singular, das sich immer auf eine Mehrzahl von Dingen, Menschen, etc. bezieht. Zum Beispiel das Wort Bezirksausschuss, das sich auf eine bestimmte Anzahl einzelner Menschen bezieht, die gemeinsam den Ausschuss darstellen.
lieber Herr Stefanowitsch, durch Zufall bin ich auf Ihren Kommentar gestoßen. Es freut mich, daß im Hohen Norden dieser Thematik durch eine so hohe Aufmerksamkeit gewidmet wird. Herzlichen Dank, ich habe etwas dazugelernt.
Nun, wie auch immer. Kollektivum oder nicht; generische Interpretation oder nicht. Fakt ist, daß ein Deutschlehrer mit dem Anspruch der absoluten Korrektheit bei der MVG die Bezeichnung “Museenlinie” durchsetzte und die bisherige Bezeichnung “Museumslinie” abgeschafft wurde. Hätte ich Ihre Argumentation schon früher gekannt, wäre es natürlich hilfreich gewesen.
Die Berliner “Museumsinsel” ist ein wunderbares Beispiel, daß selbst im Hohen Norden von der gerade auch für ausländische Besucher zungenbrecherischen Version “Museeninsel” mit gutem Grund abgesehen wurde.
Klaus Bäumler, 6. Dezember 2008