Über das ib-Klartext-Sprachblog habe ich gerade noch rechtzeitig von einer Sendung erfahren, in der die ARD gestern Nacht die Frage stellte „Wer rettet die deutsche Sprache?“ (die Sendung lief, wenn ich das richtig sehe, erstmalig im November 2005 im SWR und wird seitdem periodisch wiederholt).
Die Sendung an sich war unspektaktulär. Auf bekannte Art und Weise wurde von der Existenz einiger englischer Lehnwörter im öffentlichen Raum auf den Untergang des Abendlandes geschlossen. Ich kann nicht genau sagen, wie, denn immer, wenn sich jemand über die üblichen Verdächtigen — Backshop, Service Center, und City Call — ereifert, überkommt mich eine bleierne Müdigkeit und ich wache erst wieder auf, wenn es Pech und Schwefel regnet und die Reiter der Apokalypse die deutsche Sprache und Kultur unerbittlich und unwiederbringlich hinwegfegen. Außerdem wurden ein paar sehnsuchtsvolle Blicke nach Frankreich geworfen, wo die Académie Française der Bevölkerung die Lehnwörter mit Geldstrafen austreibt. Zu Wort kamen hauptsächlich Mitglieder des Vereins Deutsche Sprache (VdS). Alles nichts Neues, und deshalb bin ich froh, dass ich für diese Sendung nicht extra wachgeblieben bin.
Trotzdem bin ich froh, dass ich mir die Sendung mit meinem nagelneuen Festplattenaufzeichnungsgerät (the device formerly known as Digital Video Recorder) aufgezeichnet habe und sie mir deshalb zum Frühstück ansehen konnte. Denn selten habe ich Aussagen gehört, die so deutlich zeigen, wie wenig es den selbsternannten Sprachbewahrern eigentlich um die deutsche Sprache geht, und noch seltener habe ich gehört, dass sie so offen aussprechen, auf was sie eigentlich hinauswollen.
Beginnen wir mit Dietmar Kinder vom Verein Deutsche Sprache:
Wir verkaufen heute unsere Seelen für Geld. Ich habe da eigentlich gar keine Ausdrücke für. Es ist mehr als ein Skandal. Ein Volk kann sich gar nicht mehr erniedrigen, [als] indem es seine eigene Sprache nicht mehr spricht, sondern die Sprache der, in Anführungszeichen, Sieger einfach übernimmt.
In diesem Zitat steckt schon fast alles, worum es im Rest der Sendung ging. Erstens, die abstruse Theorie, dass wir Anglizismen aus Scham über unsere eigene Vergangenheit verwenden, und um uns bei den Amerikanern einzuschmeicheln. Zweitens, die Empörung darüber, dass wir das tun. Die Abneigung gegen Amerika wird dann noch mit einer antikapitalistischen Grundhaltung verknüpft, etwa, wenn Académie-Mitglied Harald Weinrich über „Konzernherren“ schimpft, die durch die Einführung des Englischen als Firmensprache „die deutsche Sprache mit einer Minderwertsteuer belegen“, oder wenn Walter Bauer, Betriebsratsvorsitzender der Bosch AG, die englische Sprache mit der Auflösung der sozialen Netze in Verbindung bringt:
Den Einfluss von Amerika, den merkt man ja auf allen Ebenen, auch in der Politik. Unsere ganzen Systeme werden angepasst und dazu gehört auch diese ganze Forderung nach Abschaffung des Kündigungsschutzes und, und Amerika– „Heuern und Feuern“, das soll bei uns auch eingeführt werden. So, der Trend zum Amerikanisieren der ist ganz stark vohanden.
Die Empörung über die „Unterwürfigkeit“ (Dieter Hallervorden, Ehrenmitglied des VdS) der Deutschen wird besonders deutlich von Walter Krämer, dem Vorsitzenden des VdS, zum Ausdruck gebracht. Die Verwendung von englischen Lehnwörtern mache aus der deutschen Sprache ein „Pidgin“, und Herr Krämer lässt keinen Zweifel daran, was er von Pidginsprachen und vor allem von deren Sprechern hält:
Pidgin ist ja eine Sprache mit einer reduzierten Grammatik, einem reduzierten Vokabularium, 500 Wörter, einige simple Regeln, mit denen man in der Karibik Fische kaufen kann, oder auch Bananen verladen kann irgendwo im Hafen, aber keine Gedichte schreiben und auch keine physikalischen Abhandlungen verfassen kann. Das heißt, indem wir diese Pidginsprache benutzen begeben wir uns auf das Niveau von Bananenhändlern hinab, und wer will denn dass?
Nein, mit karibischen Bananenhändlern müssen wir uns nun wahrhaftig nicht vergleichen lassen! Das haben wir, trotz unserer „schamgetriebenen Übernahme der Siegerkultur“ (Martin Bohus, Professor für psychosomatische Medizin in Heidelberg) wirklich nicht nötig! Überhaupt sollte mit dem Stolz auf die deutsche Sprache auch der Stolz auf die deutsche Geschichte wieder aufblühen, rät zum Abschluss der Sendung Adolf Muschg (schweizer Schriftsteller und Literaturwissenschaftler):
Die deutsche Geschichte beschränkt sich im Bewusstsein der Öffentlichkeit ja heute, ein bisschen schroff gesagt, auf die Geschichte des dritten Reiches. Das ist der große Skandal und im Geiste der Auswertung der skandalösesten Elemente jeder Story ist Hitler natürlich der gegebene Held der deutschen Geschichte. Das er eine Folge einer ganz anderen, längeren, zum Teil auch sehr respektablen und auch ehrwürdigen Geschichte war, ist vollkommen aus dem Gedächtnis verschwunden.
Von missglückten englischen Lehnwörtern zum dritten Reich und zurück in 45 Minuten — das schafft nur die ARD.
Der einzige Lichtblick in der Sendung war für mich der Deutschrapper Smudo von den oft kopierten und selten erreichten Fantastischen Vieren, der gezeigt hat, dass man das „zerrissene Deutschland“ und die deutsche Sprache auch ohne falsches Pathos lieben darf. Aber das ist ein Thema für ein anderes Posting einen anderen Netztagebucheintrag.
[Korrektur (15.2.2007): Harald Weinrich ist nicht Mitglied der Académie Française. Er ist Honorarprofessor des Collège de France und hatte dort von 1992–1998 den Lehrstul für Romanische Sprach- und Literaturwissenschaft inne. Ich entschuldige mich für diesen Irrtum — das Collège de France ist eine ernstzunehmende wissenschaftliche Einrichtung und sollte deshalb unter keinen Umständen mit der Académie verwechselt werden.]
Erstaunlich, wie der gelbe Neid auf die steigenden Mitgliederzahlen des Vereins Deutsche Sprache einem die Augen verkleistern kann — und dann nur noch (Bremen!) nebelhornähnliches Tröten zulässt.
Einfach grotesk, Ihr Beitrag, Herr Stefanowitsch!
@Anatol: “Trotzdem bin ich froh, dass ich mir die Sendung mit meinem nagelneuen Festplattenaufzeichnungsgerät (the device formerly known as Digital Video Recorder) aufgezeichnet habe”.
Dies ist fast der einzige Satz, mit dem ich mit dir übereinstimme. Ich habe noch nie eine TV-Doku gesehen, die so treffend die Verdenglischung unser Umwelt in Bilder umgesetzt hat. Die Bilder und die Argumente der Mitwirkenden waren für mich ein Grund, mich nicht weiterhin passiv der allgegenwärtigen Anglomanie auszuliefern, sondern aktiv dem VDS beizutreten. Tröstlich zu wissen, dass der Widerstand gegen das Dengischunwesen inzwischen viele, höchst unterschiedliche Unterstützer auf den Plan gerufen hat. Die Liste prominenter VDS-Mitglieder von Hape Kerkeling bis Bastian Sick ist ein beredtes Beispiel dafür.
Ich trage immer einen Hut aus Alufolie, damit niemand meine Gedanken liest, achte streng darauf, niemals auf die Fugen zwischen den Gehwegplatten zu treten und dachte immer, dass ich deswegen ein paranoider Neurotiker wäre. Dank der Sendung „Wer rettet die deutsche Sprache?“ weiß ich nun, dass ich mir deswegen keine Sorgen machen muss, und dank meiner Landsleute vom Verein Deutsche Sprache e.V. weiss ich nun auch, dass bei mir noch alles halbwegs sauber tickt. Mir ist nicht ganz klar, wovor die Damen und Herren eigentlich Angst haben. Verlust deutscher Kultur, Dichtkunst und Forschergeist wegen Bezeichnungen wie „Backshop“, „Work Council“ oder „cashflow“? Na, ich weiss ja nicht so recht. Ich werde anfangen, mir Sorgen um die deutsche Kultur zu machen, wenn meine Tochter aus der Schule kommt und anfängt „The Bell“ von „Fred Glitter“ zu rezitieren.
Guten Tag Herr Stefanowitsch,
ach diese Kleingeister in dem ARD-Film “Wer rettet die dt. Sprache?”, rückwärtsblickende Bedenkenträger und Angsthasen, obwohl es keinen wirklichen Grund zur Sorge gibt? Also ich finde, an der Erklärung mit der Identitätsstörung ist zwar auch etwas dran, aber eine Aufnahmebereitschaft bei nicht wenigen Leuten, besonders in den Domänen Popkultur, EDV, Sport und Unterhaltung gab und gibt es, und das nicht nur im geschichtsbelasteten Deutschland. Allerdings war die Einfuhr von englischen Wörter oder dem, was man so dafür hält, bis etwa 1988 bei weitem nicht so allesdurchdringend. Deswegen erklärt eine Begeisterung für Angelsächsisches das Geschehen keineswegs ausreichend. Die zweimalige gewaltige Steigerung in kurzer Zeit um 1990 und 1995 (Zeitpunkt der Telekomprivatisierung, verbunden mit einer neuerfundenen Kundenansprache), die durch eine Untersuchung der Uni Hannover nachgewiesen wurde, ließ mich schon 1996 vermuten, dass hier nicht spontane Vorliebe moderner junger Leute den Ausschlag gab, sondern dass dem Zeitgeist und der Modernität (immer wieder von den Firmen genannte Faltoren) ganz erheblich auf die Sprünge geholfen wurde.
Ich habe eine ganze Reihe aufschlussreicher Belege dafür gesammelt, dass wir es seit Beginn der Globalisierung neuen Typs mit einer sehr intensiven, noch nicht gesehenen Förderung des Englischen durch verschiedene Macht- und Wirtschaftszirkel zu tun haben, die ausgehend vom Leitbild des einheitlichen Konsumenten und Firmen, die möglichst intern auf Englisch arbeiten und an die Börse gehen sollen, damit sie u.a. besser fusioniert, aufgekauft, ausgenommen und ausgelagert werden können. Um dieses Personal liefern zu können, werden Schüler und Studenten in einem Maß auf Englisch ausgerichtet, wie es in vielen Bereichen (Ausnahme Außenkommunikation) gar nicht nötig ist, und wenn die europäischen Sprachen dabei den Bach runter gehen.
Ich beginne mal mit einem programmatischen Artikel eines ehem. Staatssekretärs von Clinton, der recht deutlich sagte, wie er sich den Sieg der besten Gesellschaftsordnung der Welt vorstellt und wie die neuen Medien als Verbreiter von Sprache und Ideologie seines Landes genutzt werden sollen. Das soll dann, weil manche doch nicht so begeistert davon wären, auch nicht mit den anerkannten Instrumenten der auswärtigen Kulturpolitik geschehen.
Und vor einer bundesdeutschen Stiftung, vor viel Prominenz verkündete er, wer sich der kulturellen Konvergenz als Folge der Märkte, die die Regierungen z.T. ersetzten, widersetze, den werde das Kapital bestrafen, wer darauf hinarbeite, der werde von ihm belohnt. Ein Landsmann von ihm bezeichnete in einem Buch zum Thema die Globalisierung als neue Weltordnung der elektronischen Finanzmärkte, der sich alle bei Strafe des Ruins zu fügen hätten, als goldene Zwangsjacke Amerikas für den Rest der Welt.
Sie stört es vielleicht nicht, wenn Herr Oettinger im Herbst 2005 der Öffentlichkeit verriet, es werde die kommunikative Aufgabe des kommenden Jahres sein, den Beschäftigten klar zu machen: Englisch am Arbeitsplatz, Deutsch bleibt für Freizeit und Familie. Genau davor hatte Direktor Stickel des Inst. f. dt. Sprache Mannheim gewarnt: Sprachen, die im Alltag immer weniger für anspruchsvolle Inhalte verwendet werden, sacken im Status ab, werden nicht mehr richtig weiterentwickelt.
Ich hoffe, dann mal von Ihnen zu hören.
Beste Grüße Werner Voigt
Anmerkung des Sprachblog-Administratorenteams: Werner Voigt ist Mitglied des VDS und leitet dort die Arbeitsgruppe „Deutsche Sprache in europäischen Institutionen und Organisationen“.
Habe heute (30.12.07) eine herrliche Anzeige im “Weser-Report” entdeckt: Die “Schnellimbisskette” “Subway” wirbt für die neue Filiale in Syke-Barrien mit dem Text:
“Bye one, get two!”
Da kann man doch nur noch “Good buy” wünschen, oder?
Die wirkungsvollste Art, etwas zu verhindern oder zu zerstören sind immer noch Freunde, nicht Feinde. Die deutschen Freunde der englischen Sprache bringen mich glatt noch so weit, Sorge um die englische zu haben. Der solcher Beispiele wie “bye one” gibt es viele …
@ Wolfgang Hömig-Groß: Touché! Und deshalb sind die im VDZ organisierten Freunde der Deutschen Sprache in Wirklichkeit ihre größten Feinde. Sie wollen ihre geliebte Sprache am Gedeihen hindern und hier und dort ein Zweigchen abschneiden, welches ihrer persönlichen Meinung nach nicht zum Stamm passt. Dieser verkrüppelte Wuchs ist jedoch Wort- und Blutleer und würde langfristig nur zu einer Abwendung der Sprecher vom Deutschen führen. Für eine gesunde Entwicklung der deutschen Sprache sollte man sie einfach leben lassen. Unsere Sprache ist kräftig genug, sich selbst zu helfen und sich von jedem überflüssigen Ballast zu befreien.