Eigentlich ist die ganze Geschichte Schnee von gestern: lange Zeit glaubte man, die Eskimos verfügten über eine große Zahl von Wörtern für Schnee und verwies gerne und häufig auf diese vermeintliche Tatsache. Dann setzte sich langsam die Erkenntnis durch, dass dies nicht der Fall ist. Eigentlich ist das schon alles und vielen Menschen ist nicht klar, warum uns das überhaupt interessieren sollte. Ich hätte das Thema auch lieber vermieden, aber ein aktueller Anlass in der Blogosphäre (und das unverhoffte Winterwetter) zwingen mich nun, die Geschichte hier aufzugreifen.
Aber der Reihe nach. Zunächst die Hintergrundinformationen für diejenigen, die noch nie etwas über Eskimos und Wörter für Schnee gehört haben: laut einem weitverbreiteten urbanen Mythos haben die Eskimos eine Vielzahl davon, eine häufig genannte Zahl ist 50 (siehe z.B. hier, hier, und hier).
Die Fabel von den vielen Wörtern für Schnee findet sich aber nicht nur im urbanen Mythenschatz, sondern sie wurde lange Zeit auch von vielen Anthropologen, Psychologen und Linguisten vertreten und weiterverbreitet — ohne jede Grundlage. Dieser schludrige Verzicht auf die in der Wissenschaft sonst so wichtige Quellenarbeit störte die die Anthropologin Laura Martin, und so schrieb sie 1986 einen Aufsatz im American Anthropologist, in dem sie den Ursprung und Werdegang dieser Fabel nachzeichnete. Diesen Aufsatz griff der Sprachwissenschaftler Geoffrey Pullum auf und begann damit eine Aufklärungskampagne, die bis heute anhält und langsam Früchte trägt: wenn man heute bei Google nach Eskimo Wörter Schnee (oder Eskimo words snow) sucht, dann halten sich die Treffer, in denen der Mythos verbreitet wird, in etwa die Waage mit denen, in denen er entlarvt wird.
Diesen Monat, volle zwanzig Jahre nach der Veröffentlichung von Laura Martins Aufsatz, ist diese Erkenntnis nun auch in der ehrwürdigen Süddeutschen Zeitung angekommen. Sie nennt sogar die wahrscheinlichste Schätzung für die tatsächliche Anzahl von Schneewörtern: zwei, nämlich qanik (für „fallenden Schnee“) und aput (für „liegenden Schnee“). Damit ist der Fall eigentlich geklärt und es gäbe keinen Grund, den Schnee auch noch hier im Bremer Sprachblog breitzutreten.
Wenn nicht der oben erwähnte aktuelle Anlass wäre: „Sprachbloggeur“ P.J. Blumenthal mochte sich in der letzten Woche nach der Lektüre der Süddeutschen mit der tristen Wahrheit nicht abfinden. Zwei Wörter erschienen ihm nicht ausreichend für die Schneevielfalt der Arktis, und so schlug er einen Kompromiss zwischen den durchschnittlichen 50 Wörtern der Legende und den zwei Wörtern der Wissenschaft vor:
Wie wäre es, wenn wir sagten, die Eskimos kennen 20 oder sogar nur 10 Wörter für das pappige Zeug? Durch Kompromisse kommt man oft der Wahrheit näher.
In einem Kommentar habe ich den ihn darauf hingewiesen, dass dies ein fauler Kompromiss ist, da er schlicht nicht den Tatsachen entspricht und habe versucht, die tatsächliche Situation kurz zu umreißen.
Tatsächlich lässt sich die Frage, wieviele Wörter für Schnee die Eskimos haben, nicht beantworten … [Deren Sprache] ist nämlich polysynthetisch, was bedeutet, dass aus jedem Grundmorphem durch das inkorporieren anderer Grundmorpheme sowie durch das Hinzufügen von Präfixen und Suffixen eine unbegrenzte Zahl von zusammengesetzten Wörtern gebildet werden kann. Wenn Sie zusammengesetzte Wörter mitzählen, so wie sie es bei Schneematsch (Schnee + Matsch) im Deutschen getan haben, dann haben die Inuit abertausende Wörter für Schnee, ebenso wie sie dann aber auch abertausende Wörter für alles andere haben. Wenn Sie nur die Grundmorpheme zählen, dann haben die Inuit zwei, nämlich die, die Laura Martin nennt.
[Hier bin ich eventuell der Süddeutschen auf den Leim gegangen und muss mich in diesem Fall korrigieren: soweit ich mich bei genauerem Nachdenken erinnere, nennt Laura Martin diese Wörter gar nicht. Sie stammen aus einer Glosse des oben erwähnten Geoffrey Pullum].
Der Sprachbloggeur griff meinen Einwand in seiner nächsten wöchentlichen Kolumne freundlich und sehr sportsmanlike auf, zeigte sich aber letztlich unbeeindruckt:
… ich glaube, dass es Nebensache ist, ob die „unzähligen“ Wörter für Schnee in der Eskimosprache aus zusammengesetzten oder Einzelstämmen bestehen. Wichtig ist lediglich die Tatsache, dass die Inuit und Grönländer viele differenzierte Begriffe für das weiße Zeug kennen. Fakt ist: Die Eskimos kennen genauso viele Begriffe für den Schnee und das Eis, wie sie aus ihrer Situation brauchen.
Da der Sprachbloggeur ein gebildeter Mann (Altphilologe, also im weiteren Sinne Fachkollege) und ein erfahrener Wissenschaftsautor (bei der Zeitschrift P.M.) ist, muss ich es als mein Versagen betrachten, ihn nicht überzeugt zu haben. Ich muss es also noch einmal versuchen und mir diesmal mehr Mühe geben.
Um meinen oben zitierten Einwand richtig zu verstehen, brauchen wir ein paar Fachbegriffe. Zunächst müssen wir zwischen einfachen und komplexen Wörtern unterscheiden. Einfache Wörter sind solche, die nicht in kleinere Teile zerlegt werden können — z.B. Schnee oder Boot. Komplexe Wörter können in kleinere Teile zerlegt werden. Wenn alle kleineren Teile ebenfalls Wörter sind, sprechen wir von Komposita (z.B. Pulverschnee, aus Pulver + Schnee oder Schlauchboot aus Schlauch + Boot). Wenn nicht alle kleineren Teile eigenständige Wörter sind, sprechen wir von Derivata (z.B. schneeig aus Schnee + -ig).
Als nächstes müssen wir zwischen Wörtern und Phrasen unterscheiden. Eine Phrase kombiniert mehrere Wörter nach bestimmten Regeln zu einer größeren Einheit. Eine Nominalphrase, beispielsweise, kombiniert ein Substantiv mit anderen Wörtern, die dieses Substantiv genauer bestimmen, z.B. nach der Regel Adjektiv + Substantiv (glitzernder Schnee, schnelles Boot) oder Substantiv + Relativsatz (Schnee, der auf Zedern fällt).
Wenn ich Ihnen nun sagen würde, dass das Deutsche vier Wörter für Schnee hat, und Ihnen die einfachen Wörter Schnee, Firn, Harsch und Sulz nennen würde, wäre mir wohl Ihrer aller Zustimmung sicher.
Was aber, wenn ich sagen würde, dass das Deutsche zehn Wörter für Schnee hat, und neben den bereits genannten noch Faulschnee, Neuschnee, Pappschnee, Pulverschnee, Schwimmschnee und Wildschnee nennen würde? Einige von Ihnen wären damit vielleicht noch zufrieden, aber andere würden darauf hinweisen, dass ich hier nicht ganz fair spiele: die sechs zusätzlichen Wörter sind Komposita, und da die Komposition ein regelhafter Prozess ist, könnte ich nach belieben weitere Komposita bilden, z.B. Straßenschnee, für „Schnee, der auf der Straße liegt“ (93 Google-Treffer); Salzschnee für „Schnee, der Streusalz enthält“ (43 Google-Treffer), oder Windschutzschnee für „Schnee, den man morgens mühsam von der Windschutzscheibe abkratzen muss“ (zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Beitrags 0 Google-Treffer). Wenn ich also Komposita mitzähle, wird es erstens schwer, die Zahl der Schneewörter im Deutschen zu zählen, denn diese hängt nun nur von der Fähigkeit kreativer Sprecher ab, diese neu zu erfinden; zweitens sage ich nichts mehr über das Verhältnis der deutschen Sprache speziell zum Schnee, denn ich kann mit jedem einfachen Wort zahhlose Komposita bilden.
Spätestens, wenn ich sagen würde, dass das Deutsche zwanzig Wörter für Schnee hat, und neben den schon genannten Wörtern die Nominalphrasen frischgefallener Schnee, gefrorener Schnee, gepresster Schnee, glitzernder Schnee, knirschender Schnee, rieselnder Schnee, stiebender Schnee, tiefer Schnee, unberührter Schnee, und wirbelnder Schnee aufzählen würde, stünde ich mit meiner Meinung wohl ziemlich allein da: „Das gilt nicht“, würden Sie rufen. „Das sind ja gar keine Wörter, sondern Nominalphrasen“.
Das Problem ist nun, dass die Eskimo-Aleut-Sprachen eine aus Sicht der europäischen Sprachen sehr bemerkenswerte grammatische Struktur haben. Dort, wo das Deutsche Wortgruppen aus Adjektiv + Substantiv oder aus Substantiv + Relativsatz bildet, verwenden die Eskimo-Aleut-Sprachen Komposita und Derivata. Man kann sich das in etwa so vorstellen, dass die Wortbildungsprozesse der Komposition und Derivation in diesen Sprachen auf Hyperantrieb geschaltet sind und viele (fast alle) der Funktionen übernehmen, die in den meisten anderen Sprachen durch phrasale Regeln erfüllt werden.
Nehmen wir das Wort Boot. Mein Bremer Kollege Thomas Stolz hat im Interesse der sprachwissenschaftlichen Aufklärung stundenlang Yup’ik-Texte nach Wörtern durchsucht, die dieses einfache Wort enthalten (Thomas, ich schulde Dir was!). Er hat dabei folgende zehn Wörter gefunden (die Liste ließe sich aber beliebig fortsetzen).
- angyaq „Boot“
- angyaqatak „kleines Boot“
- angyaruk „großes Boot“
- angyarpall’er „sehr großes Boot“
- angya’urlaq „geliebtes Boot“
- angyalluraq „lausiges Boot“
- angyar’ay’at „Massen von Booten“
- angyakcak „etwas, das wie ein Boot aussieht“
- angyaruaq „ein unechtes Boot, Modellboot, Spiezeugboot“
- angyalian „ein vom Angesprochenen hergestelltes, aber nicht unbedingt besessenes Boot“
- und so weiter…
Um das noch einmal deutlich zu sagen: dasselbe geht mit allen andern Wörtern! Ich möchte keinesfalls verantwortlich sein für einem neuen Mythos in der Art „Die Eskimos haben 10 (50, 100, 400) Wörter für Boot“.
Aufgrund der besonderen Struktur der Eskimo-Aleutsprachen ist dieser Derivationsprozess übrigens nicht auf Ausdrücke beschränkt, die im Deutschen als Substantive oder Nominalphrasen übersetzt werden, sondern setzt sich in der selben Art fort bei Ausdrücken, denen im Deutschen ganze Sätze gegenüberstehen:
- angyailliquq „er leidet darunter, dass er kein Boot hat“
- angyaqaqa „ich habe es als mein Boot“ (d.h. „Ich verwende es als Boot, obwohl es keins ist“, oder „Das ist mein Boot“)
- angyaqegciuq „er hat ein gutes Boot“
Die Konsequenz ist also, dass es schlicht keinen Sinn hat, in den Eskimo-Aleut-Sprachen Wörter zu zählen. Egal, welches einfache Wort wir uns vornehmen — Schnee, Boot, oder auch Strand — wir können Tausende von Wörtern damit bilden, so, wie wir im Deutschen Tausende von Phrasen damit bilden könnten.
Wir können also fragen „Wieviele Arten von Schnee können die Eskimos benennen?“. Die Antwort darauf ist: „Soviele, wie sie wollen.” Wäre das erwähnenswert? Nein, denn die Sprecher aller anderen Sprachen können das auch.
Wenn wir aber fragen „Wieviele Wörter für Schnee haben die Eskimos?“, dann muss die Antwort sich wegen der besonderen Struktur der Eskimo-Aleut-Sprachen auf einfache Wörter beschränken. Und da sind sich die meisten Experten einig, dass es, zumindest im Westgrönländischen, zwei sind: aput und qanik. Es mögen, je nachdem, welche Eskimo-Aleut-Sprache und welchen Dialekt dieser Sprache wir uns vornehmen, noch ein oder zwei potenzielle Kandidaten hinzukommen. So gibt es im Yup’ik das Wort natquik, dass Schnee bezeichnet, der dicht über dem Boden entlangweht (allerdings ist das Wort nicht auf Schee beschränkt, sondern kann alle über dem Boden entlangwehenden Materialien bezeichnen). Und das Wort muruaneq, dass ursprünglich „Zeug, in dem man versinkt“ bedeutete und das hauptsächlich auf Schnee angewendet wird. Damit wären wir dann bei maximal vier Wörtern, also der selben Zahl wie im Deutschen.
Warum sollte uns das nun überhaupt interessieren? Ein Leser des Sprachbloggeurs stellt auf meinen Kommentar hin diese Frage:
Ist es wirklich wichtig, dass man sich akademisch darauf einigen muß, wieviele verschiedene Worte die Inuit für Schnee haben? Oder ob das nun „richtig” Worte sind oder nur irgendwie zusammengesetzte oder sonstwie abgewandelte? Entschuldigung vielmals, aber für mich klingt das irgendwie nach der schon einmal an anderer Stelle zitierten Korinthenkackerei.
Ja, ich glaube, dass das tatsächlich wichtig ist, und zwar aus mindestens drei Gründen.
Erstens, und das ist der Aspekt, der die Sprachwissenschaft interessiert, lernen wir dabei etwas über die Struktur der indo-europäischen Sprachen und der Eskimo-Aleut-Sprachen im besonderen und über mögliche Sprachstrukturen im Allgemeinen. Das ist ebensowenig Korinthenkackerei wie der Versuch der Physik, die Struktur des Universums zu verstehen oder der Versuch der Neurologie, die Struktur des visuellen Systems zu verstehen.
Zweitens transportiert der Mythos von den Eskimowörtern für Schnee bestimmte Vorurteile über Eskimos, Naturvölker generell und die Variabilität in der Wahrnehmung der Welt — „Eskimos reden den ganzen Tag lang über Schnee“ oder, allgemeiner, „Fremde Kulturen (vorzugsweise Naturvölker) nehmen die Welt auf ganz andere, fremde Weise wahr“. Diese Vorurteile werden durch die Wirklichkeiten des Eskimo-Aleutischen Schneevokabulars in keiner Weise gestützt, und es scheint mir wichtig, dies laut und deutlich zu sagen.
Drittens, und das mag eine „deformation professionelle“ sein, finde ich es aufregend, intellektuell stimulierend und ästhetisch befriedigend, ein sprachliches Phänomen so zu durchdringen, dass ich es wirklich verstanden habe. Wer in fremden Sprachen nach Exotik sucht, der kann sie ja durchaus finden, nur eben nicht im Schneevokabular sondern in der grammatischen Struktur. Dabei hilft hier die Dekonstruktion vom Mythos der Schneewörter. Ich danke dem Sprachbloggeur dafür, einen würdigen Anlass für die Diskussion geliefert zu haben und freue mich auf zukünftige Diskussionen.
Ich habe den Mythos in der Schule in einem sprachtheoretischen Zusammenhang kennengelernt.
Eskimos hätten so viele Wörter für Schnee, weil für Sie die exakte Identifikation des jeweiligen Schneezustandes überlebenswichtig sein kann. Wir hätten weniger Wörter, weil der Zustand des Schnee keinen wesentlichen Einfluss auf unsere Überlebenswarscheinlichkeit hat. Etwas das mir als Hamburger Großstadtkind einleuchtete.
Dazu passte dann auch, dass der aktive Wortschatz für Schneearten im bayerischen Alpengebiet statistisch gesehen größer ist als in Hamburg.
Die Frage bleibt also: Wieviele Arten von Schnee pflegen die Eskimos zu unterscheiden (statistisch, wenn man 100 Menschen befragt, oder Bücher auswertet) und wieviele kennen im Vergleich dazu westeuropäische Kulturen ?
Beste Grüße
bernd
Bernd, Ihre äußerst berechtigte Frage kann ich leider nicht beantworten, möchte sie aber trotzdem kurz kommentieren.
Erstens fragen Sie nicht nach der Sprache der Eskimos sondern nach deren kulturellem Wissen. Es ist selbstverständlich plausibel, dass die Eskimos mehr über die Schneeverhältnisse in der Arktis wissen als wir, selbst wenn sie nicht mehr Wörter dafür haben. So kenne ich, ein Kind der norddeutschen Tiefebene, zwar eine Reihe von einfachen und komplexen Wörtern für Schnee (Harsch, Firn, Pappschnee, Pulverschnee, usw.), habe aber keine oder nur eine vage Vorstellung davon, was diese Wörter genau bezeichnen. Eine bayrische oder österreichische Bergbewohnerin mag also den selben Wortschatz haben wie ich, dürfte aber mit diesem Wortschatz ganz anders umgehen können. Außerdem dürfte sie viel Wissen über Schnee besitzen, das sich nicht unmittelbar im Wortschatz niederschlägt, so wie ich sicher zwanzig Arten von Regen unterscheiden kann, ohne Wörter dafür zu haben. Wie Sie richtig sagen, dürfte das, was für Bayern und Österreicher gilt, auch für die Bewohner der Arktis gelten. Nur: wäre das wirklich erwähnenswert? Würden wir Aussagen wie „Die Eskimos wissen mehr über Schnee als wir“ in unsere Gespräche einflechten?
Zweitens fragen Sie nach statistischen Unterschieden zwischen dem Schneediskurs von Eskimos im Vergleich zu dem von westeuropäischen Kulturen. Worum es mir (und anderen Sprachwissenschaftlern vor mir) ging, war, dass es in Bezug auf das Schneevokabular auf der systemischen Ebene keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Eskimo-Aleut-Sprachen und anderen Sprachen gibt: alle Sprachen haben Regeln, nach denen eine beliebige Zahl zusammengesetzter Wörter oder beschreibender Phrasen gebildet werden kann. Aber natürlich kann es trotzdem drastische Unterschiede im Gebrauch der Sprachen geben. So ist es durchaus plausibel, dass die Eskimos ihre zusammengesetzten Wörtern viel häufiger im Gespräch verwenden als wir unsere. Aber wieder stellt sich die Frage: wäre das außerhalb einer anthropologischen Studie über das Leben der Eskimos erwähnenswert? Würden wir mit bedeutungsschwangerem Blick Dinge sagen wie: „Die Eskimos sprechen häufiger über Schnee als wir“?
Ich glaube nicht. Ich denke, der Mythos von den Eskimos und dem Schnee nur deshalb so faszinierend ist, weil er als Aussage über deren Sprachsystem formuliert ist. Und diese Aussage ist falsch (wenn auch äußerst hartnäckig).
Ein schöner Artikel!
Den Eskimoschnee hat nebenbei an manchen Stellen der ostasiatische Reis (als Pflanze, geschält, gekocht, …) abgelöst — und bei teils isolierenden Sprachen trifft’s dann ja noch eher zu.
Auch ich gehöre zu den Faszinierten des Eskimo-Schneewörter-Mythos. Als schlechte Deutschschülerin beeindruckt mich dennoch die Ausdruckskraft der Worte. Dieser Beitrag hat mich, nicht nur in dieser Hinsicht, sehr bereichert. Vielen Dank!
dankeschön!
endlich befreit vom schneemythos!
Danke für den sorgfältig und achtsam geschriebenen Artikel. Jetzt begebe ich mich auf die Suche nach neuen Beispielen die anschaulich verdeutlichen, dass Sprache unser Denken bestimmt — oder das wir die Sprache haben, die wir in unserer Umwelt brauchen :-))
Auf jeden Fall auch von mir vielen Dank für die Befreiung vom Schneemythus — darüber hinaus muss ich bemerken, dass sich der Artikel außerordentlich gut lesen lässt und als eins der wenigen Beispiele für makellose Sprache im Internet bezeichnet werden darf.
im norden deutschland gibt es dänisch-sprecher. wieso hängt sich keiner von denen ans telefon und redet direkt mit einem inuit. dann wüssten wirs aus erster hand …
Pit (#8), was wüssten wir dann aus erster Hand?
DAS war mal wirklich gut! Hochinteressant! Ich muss zur Zeit ziemlich viel Schnee schippen, ich wohne im bayerischen Wald, da denkt man bei meinem allgemeinen Interesse für Sprachen und auch Naturvölker gerne mal an die Eskimos und ihren ach so vielen Wörtern für Schnee. Ich selber bin ja auch diesem Mythos aufgesessen, obwohl ich ja schon geahnt habe, dass in der Sprache der Inuit und Eskimos Umschreibungen für eine Sache als ein Wort wiedergegeben werden, etwa “Wolf, der einen Hirsch jagt” und so. Keine Ahnung, was das auf Inuktitut heißt. Jedenfalls wollte ich mal ein paar Ausdrücke für Schnee auf eskimoisch (nicht eskimonisch!) googeln und bin dann auch hier gelandet. Hat mir die Augen geöffnet und ich möchte hier auch meinen mittelscharfen Senf, der noch nicht aufs Brot geschmiert wurde, dazugeben:
Ein weiterer Mythos über Eskimos ist ja, dass sie sich selber Inuit nennen, was “Menschen” heißt. (Inuk ist der Mensch, zwei Menschen heißen Inuuk. Dual also, interessant) Tatsächlich ist Eskimo aber ein Überbegriff für mehrere arktische Völker, zu denen AUCH die Inuit im arktischen Kanada und auf Grönland gehören, genauso wie die Ewenken, Nenzen (Samojeden), Samen (Lappen), Jakuten und andere. Der Begriff Eskimo wird gerne mal als abwertend empfunden, allerdings hat sich Inuit auch nicht überall durchgesetzt, außerdem nennen sich verwandte Völker zwar selber auch Menschen (das ist bei Naturvölkern nicht unüblich, auch viele Bezeichnungen für Indianervölker bedeuten schlicht “Menschen”, sofern sich diese Völker auch wirklich mit diesem Namen bezeichnet haben — die Cheyenne z. B. nennen sich selber Tis-Tis-Tas, das allerdings heißt “Volk”). Bestrebungen, das Wort Eskimo allgemein durch Inuit zu ersetzen, gibt es aber.
Und wo wir grad dabei sind: Die Inuit mögen die Bezeichnung Eskimo deshalb nicht, weil es angeblich “Rohfleischesser” heißen soll und von dem Wort “ashkipok” der benachbarten Anishinabe hergeleitet sein soll. Eher soll es aber von dem Wort “aayaskimeew” der Cree-Indianer stammen, was “Schneeschuhmacher” (sic!) heißen soll. Kann natürlich ein bisschen was von beidem dabei sein, wer weiß sowas schon so genau.
Aber hochinteressantes Forum, das. Die ganze “Man-sagt-nicht-Eskimo-sondern-Inuit-und-die-haben-fünfzig-Wörter-für-Schnee-und-wir-nur-eines-das-ist-toll-Sache” klingt halt wunderbar political correct, aber ist halt doch nur heiße Luft.
Lieber Herr Stefanowitsch, herzlichen Dank für Ihre Schneeschmelze, die in meinem Fall nicht nur den Mythos, sondern gleich noch ein Vorurteil aufgetaut hat. Ich habe angenommen, dass Sprachwissenschaftler Sprachen studieren, nicht aber davon schreiben können. Zwei Bitten: Könnten Sie an deutschen Phil-Faks Seminare in “Wie erzähl ich’s packend” geben? Und zweitens: Könnten Sie, falls noch nicht geschehen, ein populärwissenschaftliches Buch zur Sprache schreiben? Wäre schön — und nur gerecht, nachdem sie mich ja, wie gesagt, um einen Mythos und ein Vorurteil ärmer gemacht haben.
Hervorragend. Ich habe von Vera F. Birkenbihl in ihrem Seminar von der “Lüge” mit den 50 Begriffen für Schnee gehört. (Dort wird über die Verbreitung solcher Geschichten von einem “Mem” gesprochen. Google-Suche “Memetik”) Und es gibt noch viele von diesen “Lügen”. Ich bin noch gespannt welche ich noch finde.
Ich dachte immer die Schnee-Geschichte sei nur die pazifistische Form von “die Roemer waren so militaristisch dass sie X Worte fuer Krieg/Kampf hatten”. Und auch wenn mein Lateinunterricht schon eine Weile zurueckliegt meine ich, dass sie da tatsaechlich einige hatten. Allerdings haben wir die ja im Deutschen auch, wobei “Krieg” selbst ja heutzutage gar nicht mehr dazu gehoert 😉
Selten einen so sprachlich flüssigen und interessant aufgebauten Artikel zu einem trockenen (in dem Fall schneeigen) Thema gelesen. Danke…
Haben Sie eigentlich 50 Worte für Schreibstil? ;-))
Meine Hochachtung für diesen Blog!
Interessante Betrachtung und in einer Art und Weise frei im Denken, die so manchen vor Neid erblassen lassen würde, wenn ein Verstehen den Horizont erweitern könnte. Unverständnis ist der Grund, warum die Unverständigen noch Farbe im Gesicht haben.
Wunderbar, wie dieser Beitrag meinen Horizont weitet und mich froh macht. Ich liebe es, wenn Dinge verständlich werden.
Vielen Dank dafür!
Ich bin gerade hellauf entsetzt, das im INSTITUT FÜR ALLGEMEINE UND ANGEWANDTE SPRACHWISSENSCHAFT von Eskimos die Rede ist…
INUIT bitte – nicht Eskimos. 🙁
Ich hatte vorher nie von diesem Mythos gehört und war unfassbar verwirrt, dass dieser Post mein dritter Suchtreffer war, obwohl ich eigentlich “professionelles Wort für Schneematsch” eingeben habe, aber ich habe ihn dann trotzdem bis zum Ende gelesen. Schöner Artikel 🙂 Wieder was dazu gelernt…