Anglizismus des Jahres 2021 ist das Wort boostern als Bezeichnung für eine Auffrischungsimpfung gegen COVID. Die Pandemie liefert uns damit nach dem Lockdown im letzten Jahr erneut nicht nur das Wort des Jahres („Wellenbrecher“), sondern auch das wichtigste Wort des Jahres. Aber immerhin ist es nach dem bedrückenden und nach Gefängnis klingenden Lockdown des letzten Jahres ein optimistisches, fast futuristisches Wort, das eher an eine Superkraft als an eine medizinische Routineprozedur denken lässt.
Es war aber nicht dieser Beiklang des Verbs boostern (und des dazugehörigen Substantivs Booster, das als eine Art „First Wortstamm“ mit auf dem Siegertreppchen stehen darf), der die Jury überzeugt hat, sondern die Tatsache, dass es auf exemplarische Weise zeigt, wie effektiv Lehnwörter neu entstandene Lücken im Wortschatz füllen können. Als im Herbst 2021 klar wurde, dass wir uns zum (vorerst) dritten Mal gegen COVID würden impfen lassen müssen, hätten wir das vorhandene Wort „Auffrischungsimpfung“ verwenden können, wie wir es für andere Impfungen ja tun. Aber da die Impfung selbst ja für die meisten von uns erst wenige Wochen her und damit noch sehr frisch war, hätte das nicht so recht gepasst, und ein Verb dazu gibt es auch nicht.
Das Lehnwort Booster und das daraus abgeleitete boostern kamen da gerade recht, und die beiden Wörter hatten zusätzlich den Vorteil, in ihrer Bedeutung eindeutiger zu sein: In medizinischen Texten kamen sie schon vor der Pandemie vereinzelt vor und bezeichnen dort ganz allgemein ein Verstärken der Immunabwehr, aber in der Alltagssprache bezeichnen sie speziell die Auffrischung einer COVID-Impfung. Die Bedienung, die mich beim Betreten eines Restaurants fragt, ob ich „geboostert“ sei, braucht sich also mit mir nicht auf eine Diskussion darüber einzulassen, dass ich tatsächlich gerade meine Tetanus-Impfung habe auffrischen lassen. Wie es bei Lehnwörtern häufig der Fall ist, trägt Boostern so zu einer Ausdifferenzierung des Wortschatzes bei.
Dabei ist das Verb boostern selbst wahrscheinlich gar kein Lehnwort, sondern eine Eigenkreation der deutschen Sprachgemeinschaft. Beim Substantiv Booster ist klar, dass es direkt aus dem Englischen übernommen worden ist. Den booster shot (wörtlich „Verstärkungsschuss“, wenn das die „Querdenker“ wüssten…) gibt es dort schon seit Mitte der 1940er Jahre, die Kurzform Booster seit den 1960ern. Aber das dazugehörige Verb lautet nicht to booster sondern to boost – wenn wir das Verb direkt entlehnt hätten, müsste es also boosten heißen. Und vereinzelt findet sich diese Form auch tatsächlich:
(1) Die positiv Getesteten sind dem Vernehmen nach symptomfrei und allesamt doppelt geimpft und geboostet. (SZ, 2022-01-11)
(2) Muss man sich mit einer Kreuzimpfung überhaupt boosten lassen und sollten homogen Geimpfte für den Boost gezielt den Impfstoff wechseln? (Kreiszeitung, 2022-06-01)
Aber gegen die Form boostern hat dieses Lehnverb keine Chance: es macht in deutschen Texten gerade einmal ein Prozent der Treffer aus.
Umgekehrt ist es im Englischen: hier findet sich seit Januar neben der Hauptform to boost mit steigender Tendenz auch die Form to booster:
(3) I was vaccinated and boostered which made me lucky enough to only have mild symptoms. (Jimmy Fallon auf Instagram, 2022-01-04.
(4) …the fully vaccinated and boostered and the unvaccinated are living in two different worlds. (New York Times, 2021-12-31)
Da es das deutsche Verb aber schon spätestens seit Oktober 2021 gibt, war es vor dem englischen da – was natürlich nicht heißt, dass es aus dem Deutschen ins Englische entlehnt worden ist: Die Fähigkeit, aus Substantiven Verben abzuleiten, gibt es m Deutschen und im Englischen gleichermaßen, und dass die deutsche Sprachgemeinschaft dieses Potenzial hier früher erkannt hat, zeigt einmal mehr, dass Entlehnung kein passiver Prozess ist, bei dem fremde Wörter von außen in eine vorher reine Sprache eindringen, sondern eine aktive Handlung seitens der aufnehmenden Sprachgemeinschaft.
Als Eigenkreation fügt sich das Verb boostern nahtlos ins grammatische System des Deutschen ein und übernimmt dabei das grammatische Verhalten des bedeutungsverwandten impfen – so, wie wir mit einem Impfstoff oder gegen eine Krankheit geimpft werden können, geht das auch mit boostern:
(7) Sechs der sieben Teilnehmer der Reisegruppe waren mit Biontech geboostert. (Tagesspiegel, 2021-12-14)
(6) Laut Verband könnte in rund 200 Apotheken gegen Corona geboostert werden. (Radio Gütersloh, 2021-12-01)
Da boostern im allgemeinen Sprachgebrauch allerdings weitgehend auf COVID-Impfungen beschränkt ist, ist die Angabe der Krankheit (wie in Bsp. 6) eher selten.
Das Verb boostern füllt also eine Lücke im deutschen Wortschatz und ermöglicht so eine knappe und präzise Ausdrucksweise, und es fügt sich nahtlos ins grammatische System des Deutschen ein. Wie die Impfung selbst ist es damit eine echte Bereicherung.
Es wird der deutschen Sprache auch auf absehbare Zeit erhalten bleiben und sein Wortbildungspotenzial weiter entfalten – da die politisch Entscheidungstragenden nicht verstanden haben, wie Evolution funktioniert, werden sie noch eine ganze Weile versuchen, die Versäumnisse vergangener Impfkampagnen aufzuboostern, die Pandemie wegzuboostern, oder doch wenigstens die Bevölkerung durchzuboostern. Das ständig mutierende und nach wie vor tödliche Virus werden sie damit nicht einfangen, aber wenigstens tragen sie dazu bei, dass die deutsche Sprache lebendig bleibt.