Als königliche Familie hast du es ja nicht leicht: du hast nichts Vernünftiges gelernt und bist auf den Job deshalb dringend angewiesen, und den Job hast du halt nur, solange du den Leuten einreden kannst, dass du etwas besonderes bist. Deshalb hängst du in Palästen ab, läufst mit Krone und Zepter durch die Gegend und sprichst und schreibst, als ob du sprachlich aus der Zeit gefallen bist und dir dabei ordentlich den Kopf gestoßen hast.
Wenn zum Beispiel eine deiner Prinzessinnen ihr zweites Kind bekommt, dann schreibst du in der Pressemeldung nicht einfach so einen schönen aktiven Satz wie The Duchess of Cambridge has given birth to her second child, in dem du klar zum Ausdruck bringst, wer hier etwas geleistet hat (die Duchess), und was es war (ein Kind gebären). So etwas schreibt vielleicht eine gewöhnliche Zeitung, und so etwas würde jeder normale Mensch (sprich: Untertan) sagen. Aber als Königshaus fabrizierst du stattdessen folgenden Satz:
Her Royal Highness The Duchess of Cambridge was safely delivered of a daughter at 8.34am. [Pressemeldung des Britischen Königshauses, auch per Twitter.
Die Passivkonstruktion was delivered of a daughter klingt gediegen altmodisch und damit very royal – und sie hat den Vorteil, dass ihre ex-bürgerliche königliche Hoheit, die Gräfin von Cambridge, als eher unbeteiligt an der ganzen Sache dargestellt wird. Sie hat kein Kind zur Welt gebracht, sondern sie ist (wörtlich übersetzt) „von einem Kind befreit worden“. Das passt erstens gut dazu, dass die eingeheiratete (und im Fall der Fälle jederzeit entsorgbare) Gräfin ja eigentlich nur als vorübergehendes Gefäß für das waschechte, in der Thronfolge immerhin an vierter Stelle stehende Königskind gedient hat, und zweitens dazu, dass Frauen sich bei Geburten sowieso nicht immer so in den Vordergrund drängen sollen.
Im Englischen ist das Verb deliver im Geburtszusammenhang perfekt dazu geeignet, die Gebärende in den Hintergrund zu stellen. Dazu zunächst eine kleine Grammatikstunde: In aktiven Sätzen (z.B. Kate küsst William) ist das grammatische Subjekt (Kate) auch das logische Subjekt, also die handelnde Person, während William das grammatische Objekt (und das Objekt der Begierde) ist. In passiven Sätzen (William wird von Kate geküsst) ist William zwar das grammatische Subjekt, aber das logische Subjekt (die handelnde Person) ist immer noch Kate, obwohl sie nur noch am Rande vorkommt und sogar ganz weggelassen werden kann (William wird geküsst). Passive Sätze können so dazu dienen, den passiveren Beteiligten einer Handlung in die Subjektposition zu bringen (daher ja die Bezeichnung „passiver Satz“ oder „Passivsatz“), ohne diesem aber dadurch eine aktivere Rolle zuzugestehen (wenn William geküsst wird, heißt das nicht, dass er etwas dazu beiträgt).
Das englische deliver wird nun im Zusammenhang mit Geburten im Englischen fast ausschließlich mit der Hebamme oder Ärztin als logischem Subjekt (handelnder Person) verwendet. In einem aktiven Satz klingt das z.B. wie in (1) – so ein aktiver Satz wird häufig verwendet, wenn die ärztliche Hilfe bei der Geburt im Vordergrund steht (z.B. bei Kaiserschnitten):
- But ambulancemen, realising Linda was pregnant, rushed her to hospital where doctors delivered her baby by Caesarian section. [BNC CH2]
Sätze wie (2), in denen die Gebärende das logische Subjekt ist, sind nicht völlig unmöglich, sie sind aber extrem selten:
- A checklist of predictors was applied to the maternity notes of all non-Asian women who had delivered a child under consultant care when they were discharged from the maternity unit. [BNC CN6]
Im 100 Millionen Wörter umfassenden British National Corpus gibt es nur eine Handvoll von Beispielen wie (2) vor, aber mehr als drei Dutzend Beispiele wie (1). Die passive Variante be delivered of a child, die auch die königliche Familie verwendet, kommt knapp ein Dutzend Mal im BNC vor. Die von mir als „normal“ bezeichnete Formulierung give birth to findet sich dagegen mehrere Hundert Mal.
Soviel dazu, und es überrascht vermutlich niemanden, dass die königliche Familie die Geburt des königliche Baby mit einer anachronistischen und patriarchalen Formulierung verkündet, die der Gebärenden jede aktive Teilnahme an der Geburt abspricht.
Ich habe dann angefangen, über das Deutsche nachzudenken (denn du sollst ja vor deiner eigenen Tür kehren, bevor du bemängelst, dass der Hochadel deines Nachbarn sich schon länger vor dem Treppenhausputz drückt). Und da haben wir ja neben der dem normalen give birth to a child entsprechenden Formulierung ein Kind zur Welt bringen/gebären auch das etwas altertümliche ein Kind entbinden (und natürlich das geschenkhafte ein Kind bekommen, aber das ist eine andere Geschichte).
Die Formulierung (ein Kind) entbinden wird meiner Intuition nach in aktiven Sätzen mit der Gebärenden als Subjekt verwendet (wie in den Beispielen 3 und 4), und meine Kinder und meine Schwiegermutter haben das in einem informellen Experiment bestätigt:
- Die Prinzessin hat heute früh entbunden.
- Die Prinzessin hat ein gesundes Kind entbunden.
Aber stimmt das? Das deutsche entbinden ist semantisch dem englischen deliver sehr ähnlich (ent-binden bedeutet ja im Prinzip „befreien“), und meine Lebensgefährtin hat in meinem Experiment auch prompt Passivkonstruktionen mit der Gebärenden (wie in 5) oder dem Kind (wie in 6) als grammatischem Subjekt prozduziert (das logische Subjekt wäre in beiden Fällen die Ärztin/Hebamme):
- Die Prinzessin wurde von einem gesunden Kind entbunden.
- Das Kind wurde heute früh endlich entbunden.
Und tatsächlich ist diese Form die ursprünglich „korrekte“. Im Google-Books-Archiv finden sich für das 19. Jahrhundert fast ausschließlich Fälle wie (5). Drei Beispiele:
- Dr. Mason theilt einen Bericht über ein Frauenzimmer mit, welches von einem ausgewachsenen Kinde und drei Kalendermonate später von einem zweiten, dem Anscheine nach vollzeitigen, entbunden wurde [1836]
- …nichtsdestoweniger wurde sie rechtzeitig von einem vollkommen gesunden Kinde entbunden. [1858]
- H. Apollonia, 32 Jahre alt, wurde am 16. October 1856 von ihrem dritten Kinde mit der Zange entbunden. [1860]
Für die in (6) gezeigte Variante konnte ich nur eine Handvoll Beispiele finden, darunter die folgenden:
- Die Untersuchung er regte Kontractionen und das Kind wurde entbunden. [1825]
- Sobald daher das Kind entbunden ist, bringe man dasselbe in ein lauwarmes Weitzenkleyenbad. [1800]
Für die Variante mit der Gebärenden als aktivem Subjekt habe ich überhaupt nur zwei Beispiele entdeckt:
- Patientin, welche vor 25 Jahren das letzte (sechste) Kind entbunden hatte, gibt an, vor 14 Jahren durch das Tragen einer schweren Last sich die Nabelhernie zugezogen zu haben. [1884]
- Frauen, die auf dem Rücken liegend entbinden wollen, legt man bloß Polster unter das Kreuz, damit die Geschlechtstheile, um dem Kinde einen leichtern Ausgang zu gestatten. [1826]
Auch im Deutschen war also das deutsche Äquivalent zu der Formulierung des britischen Königshauses ursprünglich die vorherrschende Form. Aber wie sieht es heute aus? Um das herauszufinden, habe ich im Deutschen Referenzkorpus die Wortfolge [Kind entbunden] gesucht, die sowohl in Passivsätzen (…wurde von einem Kind entbunden…, …Kind entbunden wurde…) als auch in Aktivsätzen (…ein Kind entbunden hat/hatte…) auftreten kann. Es finden sich vier Varianten. Erstens, Aktivsätze mit Hebamme oder Ärztin als grammatischem und logischem Subjekt (siehe 14); zweitens, Passivsätze mit der Gebärenden als grammatischem aber Ärztin/Hebamme als logischem Subjekt (siehe 15); drittens, Passivsätze mit dem Kind als grammatischem aber Ärztin/Hebamme als logischem Subjekt (siehe 16); und viertens, Aktivsätze mit der Gebärenden als grammatischem und logischem Subjekt (siehe 17);
- Die Hebamme, die sie von ihrem zweiten Kind entbunden hat, durchschaute den Sektenwahn. (N99)
- Madonna: Die Pop-Ikone wurde im Alter von 41 Jahren von ihrem zweiten Kind entbunden. (M13)
- Antinori wollte allerdings geheim halten, wo das Kind entbunden werden soll.
- Penélope Cruz (39) hat laut Medienberichten in einer Klinik in Madrid ihr erstes Kind entbunden. (NUN13)
Dabei ist die für mich „normal“ klingende Form in (17) knapp die häufigste (obwohl die Wortfolge, nach der ich gesucht habe, Passivsätze bevorzugt – ich hätte ja noch nach Wortfolgen wie [entbindet ein/ihr Kind], [ein/ihr Kind entbinden] usw. suchen können, die nur in Aktivsätzen auftreten können).
Wir scheinen es bei der Verwendung von entbinden mit einem grammatischen Wandel zu tun zu haben, der einen gesellschaftlichen Wandel reflektiert: Im 19 Jahrhundert (und heute noch im britischen Königshaus) war es selbstverständlich, Frauen als eher passive Behältnisse zu betrachten, aus denen eine Hebamme oder eine Ärztin (bzw., damals natürlich ein Arzt) ein Kind herausholt. Das spiegelt sich in der ursprünglichen passiven Form von einem Kind(e) entbunden wieder.Inzwischen sind wir (außerhalb des britischen Königshauses) etwas weiter: Wir gestehen Gebärenden eine Eigenleistung bei der Geburt zu, die sich in der Grammatik dadurch zeigt, dass sie nun Subjekt eines Aktivsatzes ist.
Ermöglicht wurde diese grammatische Verschiebung vermutlich durch einen Zwischenschritt, nämlich den Fall, in dem das Kind selbst das grammatische Subjekt eines Passivsatzes ist: bei Das Kind wurde entbunden ist unklar, wer das logische Subjekt ist – gemeint ist eigentlich Hebamme oder Ärztin, aber es könnte theoretisch auch die Gebärende sein. An dieser Stelle konnte der Wandel im gesellschaftlichen Bewusstsein unter der grammatischen Oberfläche wirksam werden und der Gebärenden die aktive Rolle zuschieben. So entsteht dann ein dazugehöriger Aktivsatz, in dem die Gebärende ganz offen die Rolle des logischen und grammatischen Subjekts einnimmt.
Wenn sie nicht ausgerechnet britische Prinzessin ist.
“Dr. Mason theilt einen Bericht über ein Frauenzimmer mit, welches von einem ausgewachsenen Kinde und drei Kalendermonate später von einem zweiten, dem Anscheine nach vollzeitigen, entbunden wurde”
Ein AUSGEWACHSENES Kind? Hatte der historische Autor zuviel am Äther geschnüffelt oder wie? Na, gut, geschenkt. Aber drei Monate noch ein Kind?
Chuck Berry textete in “Hail! Hail! Rock’n’Roll”: “…deliver me from the days of old..” Diese gepreizte Ausdrucksweise (auch: “Hail!”) ist dasa gewählte Stilmittel, um das Altmodische und Antiquierte der Eltern-Welt zu persiflieren. to deliver = entbinden, befreien im Passiv-Modus, das ist noch etwas antiquierter, und das Subjekt des Entbinden hat sich in Luft aufgelöst…
Entbinden ist der Vorgang des Ent-Bindens, das Abschneiden der Nabelschnur.
Daher ist es passivisch, wenn Arzt oder Hebamme nicht erwähnt wurden: Das Kind wurde entbunden.
“Sie hat entbunden” ist also vielleicht irgendwo “normal” geworden, das liegt aber eher daran, dass Leute “gebären” und “entbinden” verwechseln.
“Sie hat ihr Kind entbunden” trifft für meinen Geschmack nur zu, wenn sie
selbst das Kind von sich abgebunden hat. Wem das zu passivisch ist, sollte fen Geburtsvorgang auch so bezeichnen: “sie hat ein Kind geboren”.
Übrigens sagt auch mein “Kluge”, dass entbinden erst seit dem 14. Jahrhundert auf den Geburtsvorgang bezogen ist. Es heisst bis dahin einfach “losbinden, befreien”.
Tl;dr lasse ich weg 😉
Die Grammatik der Geburt wäre glatt ein ganzes Forschungsprojekt zum Sprachvergleich wert — beispielsweise auch bei der Frage, in welche Richtung eine werdende Mutter eigentlich gebärt.
Um ein wenig Eigenwerbung zu machen: Dazu hatten wir vor einigen Wochen einen Beitrag im Blog der Niederlandistik:
http://blogs.fu-berlin.de/nederlands/2015/02/08/von-einem-zwilling-befallen‑i/
Ein nettes Wortspiel zum passiven “got delivered” findet sich im Film “Robots”, wo der Robot-Vater den Anruf bekommt: “das Baby kommt”. Er eilt nach Hause und wird begrüßt von der Robot-Frau mit den Worten begrüßt: “it got delivered while you were on your way here” — und auf dem Tisch steht ein Karton mit Frachtaufklebern.
@Rolleau: “ausgewachsen” im Sinne von: keine Frühgeburt”.
Jesaja 66,7: Sie gebiert, ehe ihr wehe wird; sie ist genesen eines Knaben, ehe denn ihre Kindsnot kommt. (Luther)
Isaiah 66:7: Before she travailed, she brought forth; before her pain came, she was delivered of a man child. (King James)
Leider stehen in manchen modernen Bibelübersetzungen “she delivered a child”, aber wie Sie schreiben, selten.
Ich habe auch sofort an “entbunden” bei “delivered” gedacht, da ich in London lebe und gleichzeitig etwas zum deutschen Mutterschutzgesetz übersetze, da steht allerdings nur “Entbindung” als Substantiv für “delivery”. Mehr kann ich leider nicht dazu beitragen.
@Rolleau: Es gibt Frauen, die zwei vollständig funktionstüchtige Gebärmuttern haben und entsprechend in beiden schwanger werden können. So kommt das zweite Kind eben drei Monate später.
Bravo!
Mehr zum spannenden Thema “Grammatik der Geburt” in meinen Glossen “Geburtstag” (2008) und “Putins Niederkunft” (2007).
http://www.fembio.org/biographie.php/frau/comments/geburtstag/
http://www.fembio.org/biographie.php/frau/comments/putins-niederkunft/
Viele Dank für diese gute Beobachtung! Noch schlimmer als die Passivkonstruktion finde ich, wie viele Ergebnisse man bekommt wenn man Variationen von “Sie schenkte ihm ein Kind” googelt. Die Treffer sind bei weitem nicht alle aus dem 19. Jahrhundert.
ich sehe das wie CK:
“Sie hat ein Kind geboren.” kommt mir am intuitiv einsichtigsten vor.
“Sie hat ein Kind entbunden.” klingt für mich danach, dass sie auch noch die Nabelschnur selbst durchtrennt hätte.
Nicht, dass Frau Herzogin das nicht könnte, aber ich bezweifele, dass es in ihrem Fall so war.
Generell wie bei anderen solchen Formulierungen, die eine bestimmte Weltsicht suggerieren sollen oder können (Völkerwanderung != Vatertagsausflug), etwas Ahnung zu haben sollte davor schützen, auf die Suggestion hereinzufallen.
Sich mit speziellen Formulierungen vom gemeinen Volk abzutrennen ist aber kein Privileg des Hochadels. Ärzt(inn)e(n), Beamt(inn)e(n), Professor(inn)en, Manager(inn)en und Jurist(inn)en pflegen ihre jeweiligen Sonderwortschätze nicht minder.
Ähm, hüstel, räusper, eine Duchess ist, ob ehemals bürgerlich oder nicht, jedenfalls keine Gräfin (das wäre eine Degradierung um zwei Stufen), sondern eine Herzogin.
Pingback: Lob des Passivs | PrinzessinnenReporter
Wir haben uns erhuldigt, mit einem royalen Lob des Passivs zu antworten: http://www.prinzessinnenreporter.de/lob-des-passivs/
@Rolleau (erster Kommentar): in dem Text geht es um ungewoehnliche Vorkommnisse bei Zwillingsgeburten.
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