Da ich für den Londoner Radiosender Monocle (der mich immer anruft, wenn in Deutschland etwas sprachlich Signifikantes passiert) noch einmal den Siegern von Langenscheidts Jugendwort-Wettbewerb hinterher recherchieren musste, hier noch ein paar Fakten und Nachgedanken zu unserem gestrigen Leak (die Radiosendung selbst gibt es als Podcast hier, ich komme ganz am Schluss).
Erstens: Das Siegerwort Babo stammt wahrscheinlich nicht aus dem Türkischen. Matthias Heine vermutet in der WELT, dass es aus dem Zazaki stammt, einer Indo-Iranischen Sprache, die in Ostanatolien gesprochen wird und mit dem Kurdischen, nicht aber mit dem Türkischen verwandt ist. Er könnte da richtig liegen – tatsächlich findet sich das Wort mit der Bedeutung „Vater“ auch in anderen indo-iranischen Sprachen, vom Shina aus dem nördlichen Pakistan bis zu Varietäten des Romani, die auf dem Balkan gesprochen werden. Auch in Dialekten des Aramäischen (einer semitischen Sprache) in der südöstlichen Türkei findet sich das Wort, was darauf hinweist, dass es sich aus den indo-iranischen Sprachen in andere im Osten der Türkei gesprochene Sprachen ausgebreitet haben könnte – inklusive der regionalen türkischen Dialekte.
Das ist ja eigentlich interessant, denn Langenscheidt hätte hier die Gelegenheit nutzen können, der interessierten Öffentlichkeit zu erklären, auf was für verschlungenen Wegen Wörter von einer Sprache in die andere gelangen und was für Bedeutungsveränderungen sie dabei durchmachen können. Aber darum geht es Langenscheidt ja leider nicht, weshalb man sich damit begnügt, es als „Türkisch“ zu bezeichnen. Das klingt dann so, als ob türkische Gangsterrapper die deutsche Jugendkultur dominieren und ist damit vielfach anschlussfähig an Diskurse, die vom Kulturpessimistischen über das Exotisierende bis zum Multikulturell-Verklärenden gehen. Über Sprache oder Sprachen lernen wir dabei leider nichts.
Zweitens: Die Liste der fünf Top-Wörter ist ein ziemliches Durcheinander aus Wörtern, die in bestimmten Subkulturen gesprochen werden (eben Babo, das am ehesten unter Hip-Hop-Fans gebräuchlich ist), Ausdrücken, die schon lange ein Randdasein fristen (Hakuna Matata aus dem Disney-Film „König der Löwen“, der 1994 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde), und Wörtern, die tatsächlich von jungen Menschen sehr verschiedener Grade der Jugendlichkeit verwendet werden (fame, gediegen, in your face.
Auch das ist ja eigentlich interessant, denn alle diese Wörter und Phrasen werden und/oder wurden ja irgendwo von irgendwem verwendet. Langenscheidt hätte die Liste also zum Anlass nehmen können, um der (hoffentlich immer noch interessierten) Öffentlichkeit zu erklären, wie vielfältig sich Sprache innerhalb einer Sprachgemeinschaft ausprägen kann und woher die Inspiration für diese Ausprägungen kommt. Aber auch darum geht es Langenscheidt nicht – man hält krampfhaft an der absurden Idee fest, alles, was irgendwie nicht nach etabliertem Schriftdeutsch klingt, als „Jugendsprache“ zu bezeichnen (der Duden-Verlag macht das besser und sammelt Slang und Jargon in einem Wörterbuch der Szenesprachen, sortiert den Wortschatz also sehr viel realistischer nach Subkulturen).
Ich habe nichts gegen Wörterwahlen, die aus kommerziellen Motiven abgehalten werden. Das Oxford Dictionaries Word of the Year wird sicher auch abgehalten, um Werbung für Wörterbücher zu machen – aber die Lexikografen des Oxford English Dictionary geben sich bei ihrer Wörterauswahl und bei der Begründung der Siegwörter sehr viel Mühe, sprachliches Wissen zu vermitteln. Bei Langenscheidt bezieht man lexikografisch bewanderte Menschen oder gar Expert/innen für den Sprachgebrauch junger Menschen gar nicht erst mit ein, sondern lässt eine beliebig zusammengestellte Jury beliebige Wortlisten zusammenstellen und setzt auf Platz Eins zum dritten Jahr in Folge ein Wort aus einem Youtube-Hit. Damit soll das alljährliche Buch zur Jugendwortwahl verkauft werden (es lohnt sich nicht, es ist eine schlampig gemachte Zusammenstellung von angeblichen Jugendwörtern und deren angeblichen englischen Übersetzungen, illustriert mit Beispielsätzen, die unfreiwillig komisch sein könnten, wenn sie nicht so furchtbar lustlos wären).
Ich wünsche Langenscheidt, dass das Buch sich gut verkauft, denn Werbung für die lexikografische Qualität des übrigen Verlagssortiments ist die Jugendwortwahl ganz sicher nicht.
Der Duden-Verlag verfolgt sein Szenesprachen-Projekt offenbar nicht aktiv weiter. Das im Artikel erwähnte Wörterbuch stammt von 2009, und die zugehörige Website szenesprachenwiki.de wirkt etwas vernachlässigt.
Unterstützung für Matthias Heines Aussage aus dem ersten Satz der Wikipedia-Seite des Rappers:
“Haftbefehl (* 16. Dezember 1985 in Offenbach; bürgerlich Aykut Anhan) ist ein deutscher Rapper kurdischer-zazaischer Abstammung.”
Aber ja, sind ja alles Türken. Erinnert an einen Film aus 2004, “A day without a Mexican”, in dem “Mexican” auch nur als Sammelbegriff der WASPs ist für alle Lateinamerikaner im Land.
Über Sinn und Unsinn einer Jugendwortwahl lässt sich streiten. Die verwendete Sprache dürfte zeitlich und räumlich viel stärker variieren als die normale Umgangssprache, so dass ein Sprachraum mit gegen 100 Mio Sprechern wohl nicht vernünftig abgedeckt werden kann.
Ein Buch über die Jugendsprache des Jahres 2014 herauszugeben, bevor 2014 überhaupt erst angefangen hat, erscheint mir auch etwas blödsinnig (mal abgesehen davon, dass ich den Sinn des Buches sowieso nicht sehe), ist aber vielleicht marketingtechnisch ideal.
@Julian von Heyl: Diese “Wiki”-Seite wirkte damals schon wenig zukunftsfähig. Zuerst musste man sich registrieren (tolles Wiki), dann war es eigentlich kein Wiki, sondern eine Datenbank und dann wurde jedes vorgeschlagene Wort von irgendeiner Sekretärin begutachtet und meistens abgelehnt (wahrscheinlich weil sie es nicht kannte). Und dann konnte man irgendwie keine Korrekturen für “falsche” Wörter (bzw. Alternativ-Bedeutungen) anbringen (zumindest hab ich das nie geschafft). Das _musste_ floppen.
Das lustigste an der ganzen Jugendsprachen-Angelegenheit ist, dass vermutlich kein einziger im entsprechenden Alter und mit dem entsprechenden Hintergrund daran beteiligt ist. Die Jugend hat wahrscheinlich wichtigeres zu tun…